Dienstag, 28. März 2017

Ich feiere mit jedem der es tut, der raus ist aus diesem Job.

Hier ein Gastbeitrag einer geschätzten Kollegin, auch hier könnt ihr sehen, dass die Pflegenden in Deutschland wissen, dass es es nicht fünf vor Zwölf, sondern zwanzig nach Eins für eine Veränderung in der Pflegelandschaft ist.
Wie so viele Kolleginnen möchte sie natürlich nicht namentlich erwähnt werden, was ich verstehe. Auch so ein Phänomen in der Pflege. Wer die Wahrheit offen ausspricht bekommt ziemlich schnell ein Problem. Traurig aber wahr. 
Aber schaut euch erstmal an was sie zu sagen hat:



Kürzlich las ich es wieder:


 Pflegekräfte streiken nicht, sie gehen in den Pflexit.


Und wisst Ihr was? 

Ich feiere mit jedem der es tut, der raus ist aus diesem Job.

Ich habe es satt vergeblich um Veränderungen zu kämpfen.
Euch da draußen ist Pflege egal. Und solange das so ist, besteht keine Chance auf Besserung. Statt Euch zu informieren, Euch zu interessieren, uns zu helfen Druck auf die Politik auszuüben nickt Ihr mitleidvoll den Kopf: schlimm, ja schlimm ist das alles und nein, also ich könnte das ja nicht. Immer mehr Pflegekräfte können tatsächlich nicht mehr, ich gehöre inzwischen auch dazu. 
Jahrelanger mutiger Kampf um Veränderung zum Guten. Um eine menschenwürdige Pflege. Von den meisten in dieser Gesellschaft ignoriert und auch deshalb vergebens. Letztlich ist Euch die Versorgung Eurer Lieben und Eure eigene egal. Sonst würdet Ihr wissen, was die Partei Eurer Wahl für Pflege tut. Wissen, dass Pflegekräfte viel mehr tun als Ausscheidungen wegräumen. Im Übrigen auch jene Pflegekräfte außerhalb von Intensivstationen

Meine Kollegen und ich versorgen überwiegend Menschen, die dem Tod näher sind als dem Leben. Sie können nicht aufstehen, sich nicht aufsetzen, sich nicht selbst auf die Seite drehen. Sie können nicht selbst essen, sich nicht bemerkbar machen, ihre Ausscheidungen kontrollieren, oftmals wissen sie nicht wo sie sind. Sie haben Angst, oftmals Schmerzen. Sie wiegen zwischen 60 und 120 kg.
Ich habe heute 9 dieser Menschen allein gewaschen, gelagert, von ihren Ausscheidungen befreit, ihnen den Schleim den sie nicht abhusten können aus den Atemwegen gesaugt, teelöffelweise Brei und Flüssigkeit gereicht, erkannt ob sie Schmerzen haben und darauf entsprechend reagiert. Meine Kollegin und ich sind für 17 von 34 Patienten unserer Station zuständig. Von „unseren“ 17 sind 16 komplett auf Hilfe angewiesen. Ein einziger Patient kann aufstehen. 8 der Patienten liegen mit schwerer Influenza-Infektion im Isolierzimmer. Sie fiebern hoch, bekommen sehr schlecht Luft, bei einigen ist nicht klar ob sie überleben werden. Angehörige schimpfen, weil sie sich während des 10-minütigen Besuchs durch die speziellen Schutzmasken beengt fühlen. Meine Erklärungen über Notwendigkeit, hundertfach erzählt, verpuffen in genervten Blicken. Ich arbeite über Stunden mit diesen Masken körperlich schwer, mir rinnt der Schweiß sonstwo lang nachdem ich an den hilflosen Menschen gezogen, geschoben und gehoben habe. 
Die pflegerische Versorgung ist schlecht, es ist nicht zu schaffen. Druckgeschwüre entstehen, Muskeln bilden sich zurück, Kontrakturen entstehen. Mobilisation findet kaum mehr statt. Dies wird einfach hingenommen. 

Uns Pflegende macht das sprachlos. 

Ein Großteil unseres Wissens, unserer Profession besteht darin genau dies zu verhindern! Und trotzdem weigere ich mich inzwischen, erwachsene Menschen ohne Hilfsmittel aus dem Bett zu zerren. 

Meine Rückenschmerzen sind so schon unerträglich.

Dies ist seit vielen Wochen so. Betten sind schon wieder belegt, bevor der vorherige Patient entlassen ist. Wir bekommen morgens gesagt, wer nach Hause/ins Heim zurück kann und müssen dies dann alles nebenbei organisieren. 
Dann wird umgeschoben und gereinigt was das Zeug hält um alle Betten sofort wieder zu belegen.
Die Notaufnahme schimpft seit Stunden, weil Patient X seit 2 Uhr nachts auf ein Bett wartet. 
Wir haben Pflegedienstleitung, Klinikleitung, Geschäftsführung und Betriebsrat informiert, zahllose Gefährdungsanzeigen geschrieben, um Hilfe gebeten, ja gebettelt. 
Erfolglos. 
Die Führungsebene macht lieber persönliche Fehden daraus, statt Probleme zu lösen.

Es wird ohne Rücksicht weiter voll belegt. 

Nur die Fallzahlen sind wichtig.
Krankenhäuser müssen Geld verdienen. 
Ob Menschen deshalb Schaden nehmen – gleichgültig ob nun zu Pflegende oder Pflegende, es kümmert niemanden. 

Meine Kollegen und ich haben zu viel Schaden genommen. 
Uns bleibt nur der Pflexit.

Auch das las ich kürzlich: die Gesellschaft müsse auf die Strasse gehen, nicht die Pflege. 

So ist es, denn Ihr werdet morgen diejenigen sein, die Schaden nehmen.



Sr. Whistleblower*



*leider kann man sowas nur Anonym veröffentlichen, sonst hat man sehr schnell einen Pflexit, ob man will oder nicht.

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