Dienstag, 23. Juni 2015

Von Bundesjugendspielen und anderen „Kleinigkeiten“

Von Bundesjugendspielen und anderen „Kleinigkeiten“


Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass ich absolut nichts gegen @mama-arbeitet habe. Und natürlich muss mich niemand nach meiner Meinung fragen bevor er/sie eine Petition startet. Allerdings muss man dann auch damit klar kommen, wenn ein Anliegen von einigen weder geteilt, noch für sinnvoll oder gar zielführend erachtet wird. Und bei Frau Finke bin ich mir eigentlich sicher, dass sie mit Kontroverse umgehen kann, solang man auf Beleidigungen oder schlimmere Entgleisungen verzichtet.


Zum Thema Bundesjugendspiele


Ja bitte, schafft sie doch ab! Erspart den leichtathletisch Minderbegabten die jährliche Schmach und verderbt allen anderen den Spaß. Wenn es Euch glücklich macht. Nutzen wird es jedoch niemandem. Denn die dicke Tina wird weiterhin beim Zirkeltraining ausgelacht werden. Torben steht immer noch mit roten Kopf und kurz vorm heulen als letzter in der Turnhalle, wenn Mannschaften gewählt werden und dass Christina keinen Ball fangen kann, wird auch in Zukunft ihr Selbstbewusstsein wenig stärken.
Genauso geht es übrigens auch regelmäßig Tim dem „Mathe Looser“, denn auch wenn er nicht öffentlich eine Teilnahme Urkunde für den Mathematikunterricht überreicht bekommt, so ist überraschenderweise dennoch jedem klar, wer sich erneut die einzige 5, erkennbar am Klassenspiegel, abholen darf. Und wenn Hanna an die bevorstehende Theateraufführung denkt, wird ihr jetzt schon schlecht, weil sie ein weiteres mal den einzigen Satz, den sie mit Rücksichtnahme auf ihr nicht vorhandenes Talent zu sagen hat, vor Aufregung und Scham versemmeln wird. Alles anscheinend traumatische Erlebnisse, die es unbedingt zu verhindern gilt, oder etwa nicht?

Und jetzt sage ich Euch mal, warum es in meinen Augen die falscheste aller Lösungen ist, den Kinder diese Erfahrungen ersparen zu wollen.
Ich habe nämlich selbst einen aus dem „Team Teilnahme Urkunde“ hier zur Hause. Jemand, der mir am letzten Schultag Tränen überströmt und völlig am Boden zerstört das beste Zeugnis der Klasse in die Hand drückt, mit dem Verweis auf die grausam peinliche Urkunde, die kurz davor verliehen wurde. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mir dabei eine Menge durch den Kopf ging, allerdings ganz sicher nicht, unmittelbar eine Initiative ins Lebens zu rufen um diese unsäglichen Bundesjugendspiele endlich abzuschaffen.
Klar ist es immer scheiße, wenn der eigene Nachwuchs heult und ganz offensichtlich tief verletzt ist. So absurd sich das auch für einen Erwachsenen darstellt, der gerade vor Stolz platzen möchte ob dieses wahsinns Zeugnisses. Aber dafür sind wir Eltern doch da. Gefühle ernst nehmen? Klar! Ende der Welt? Nein, sicher nicht! Das dem Kind zu vermitteln, empfinde ich als meine Aufgabe in dieser Situation. „Ist ok, wenn Du traurig bist, aber hey! Guck mal, was du alles gut kannst. Du bist toll, auch ganz ohne diesen Leichtathletik Kram. Oder wolltest Du etwa professioneller Ballweitwerfer werden? Man kann halt nicht immer ganz vorne mit dabei sein. Scheiß drauf!“
Natürlich funktioniert das nicht auf Knopfdruck, zack Kind glücklich. Aber nach nun mittlerweile 5 Bundesjugendspielen kann ich Euch verraten, dass hier niemand mehr deswegen heult. Dafür sitze ich dann wahrscheinlich demnächst hier und versuche zu erklären, warum die Tatsache, dass Melina jetzt doch mit dem Lars geht, auch scheiße aber immer noch nicht das Ende der Welt ist.
Ich möchte, dass unsere Kinder lernen mit Niederlagen um zu gehen und dass sie lernen ihre Fähigkeiten realistisch einzuschätzen. Wie sonst sollen sie ihren Weg finden? Ich würde mir wünschen, dass wenn unsere Tochter (wie ich damals) mit „Na, hat das Bild etwa deine 4 jährige Schwester gemalt?“gehänselt wird, mit „Ne, dann sähe das entschieden besser aus.“ antwortet und dabei lachen kann. Das erreiche ich aber ganz sicher nicht, indem ich eine Initiative starte, dass Kinder ab sofort nur noch in Einzelkabinen Kunstunterricht erhalten um dieser grauenhaften Diskriminierung endlich ein Ende zu setzten. Das dazu.

... und andere Kleinigkeiten


Nun aber zu dem eigentlichen Grund, warum ich derart geladen bin, dass ich entgegen meiner Pläne erst mal lange nix zu bloggen, schon wieder hier sitze. Die Bundesjugendspiele scheinen, wie @mama-arbeitet bereits erkannt hat, ein sehr emotionales Thema zu sein. Ich werde das kaum leugnen können, wo ich mich ja gerade selbst dazu berufen fühlte, auch meinen Senf beizutragen. Also wird fleißig diskutiert, getweetet, gepostet, geteilt was das Zeug hält. Alles nicht weiter verwunderlich. Parallel zu diesem offensichtlich gesellschaftlich relevanten Thema, und nun kommen wir zum Punkt „andere Kleinigkeiten“, passiert aber noch etwas anderes, das ich bis dato auch für „nicht ganz so unerheblich“ gehalten hatte.
In Berlin gehen, erstmals in der deutschen Streikgeschichte, Pflegerinnen und Pfleger FÜR EUCH auf die Straße und streiken. Nicht für mehr Geld. Nicht für eine 35 Stunden Woche oder ähnlichen Luxus. Nein, sie streiken für mehr Kollegen, damit IHR also die potentiellen Patienten überhaupt anständig versorgt werden könnt. Wisst ihr, wir, also alle Pflegenden, wir haben im schlimmsten Fall eine Alternative. Nämlich die Kündigung. Wenn nichts mehr geht, dann können wir aus dem Krankenhaus, Seniorenheim, ambulanten Pflegedienst etc einfach raus marschieren und der Katastrophe somit entfliehen. Was übrigens massenweise Kolleginnen und Kollegen bereits getan haben. Ihr Patienten, ihr könnt das nicht. Weshalb wir bislang auf Streik verzichtet haben. Für mehr Geld die Patienten/Bewohner im Stich lassen? Wo wir doch eh schon dauerhaft unterbesetzt sind? Nein, da haben die meisten meiner Kollegen Skrupel. Schließlich kann die bettlägerige alte Dame am wenigsten dafür, dass wir immer mehr Stellen gestrichen bekommen und somit hoffnungslos überlastet sind. Die zahlreichen (wie ich finde bescheuerten) Tweets auf Twitter haben ja auch gezeigt, dass Ihr das super von uns fandet. „Die doofe GDL streikt, danke an die Pflegekräfte, dass ihr das nicht tut!“ Dummerweise hat dieses fürsorgliche Nicht-streiken mittlerweile dazu geführt, dass nicht nur wir uns kaputt schuften, sondern Ihr trotzdem unterversorgt seid. Und wenn dann erst mal jemand verblutet ist, weil die Nachtschwester allein mit 40 Patienten überhaupt keine Chance hatte, das rechtzeitig zu bemerken, dann, ja dann steht sogar das Pflegepersonal auf. Erst wurde für mehr Personal gebettelt, dann reihenweise Überlastungsanzeigen geschrieben und jetzt ist es in Berlin in der Charite endlich soweit, dass zum letzten Mittel vor der Kündigung gegriffen wird, nämlich zum Streik. Für EURE Gesundheit! Damit DU nicht an einem banalen Routineeingriff versterben musst, bloß weil niemand regelmäßig Deinen Zustand kontrollieren konnte. Und in ganz Deutschland beobachten Pflegekräfte diese Entwicklung gespannt und hoffen darauf, dass jetzt endlich begriffen wird, wie nötig Veränderungen sind und Bewegung in die Sache kommt. Druck auf die Charite, Druck auf die Regierung. Berichte über die Pflege. Empörung über derart katastrophale Zustände in deutschen Einrichtungen. Sie sitzen vorm Fernseher oder schauen im Internet nach wann endlich die „gesunde“ Öffentlichkeit von all dem erfährt. Und was kommt? NICHTS!
Wenige Sekunden in der Tagesschau gestern und 2 Artikel im Tagesspiegel. Darüber hinaus? NICHTS!
Dafür, (und nein, da kann Frau Finke überhaupt nichts für und das ist auch nicht im geringsten ihr Problem) bekomme ich das Thema Bundesjugendspiele von allen Seiten in meine TL. Angefangen mit @sternde und als es sogar die @tagesschau raus gehauen hat, ist mir endgültig der Kragen geplatzt. Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem ich anfange, das persönlich zu nehmen. Die Pflege ist am Boden. Sie kann nicht mehr. Aber anstatt wegzulaufen, stellen sich die Mitarbeiter der Charite auf die Straße und schreien nach Hilfe. Um EUCH helfen zu können. Damit EUCH nichts schlimmeres passiert als ein Krankenhausaufenthalt. Und was macht ihr? Ihr diskutiert über die Bundesjugendspiele. Danke für nichts! Dann habt ihr es auch nicht besser verdient. Ich bin raus.

Oder liebe Fans der Bundesjugenspieldebatte, Ihr setzt Euch jetzt auch für mal uns ein. Wimmernde Kinder, die in der Ecke sitzen, weil sie nicht die Leistung erbringen können, die verlangt wird, tun Euch leid? Was ist dann mit uns Pflegekräften? Wir bekommen jeden Tag eine beschissene Teilnahme Urkunde. „Notwendige Leistungen konnten leider nicht erbracht werden, weil ihr einfach nicht genug seid. Aber hey, immerhin ward ihr da!“
Wie viele Pflegekräfte bleiben da wohl auf der Strecke? Ist es womöglich auch ein traumatisches Ereignis, sich für gesundheitliche Schäden oder gar den Tod eines Patienten verantwortlich zu fühlen? Ok, eine Petition zur Abschaffung der Pflege ist hier wohl leider weder zielführend noch möglich. Aber wie wäre es zum Beispiel mit einer Petition für die Einführung eines bundesweiten Pflegeschlüssels um diesem Leid auf beiden Seiten des Pflegebettes endlich ein Ende zu setzten?

Eure @emergencymum

Donnerstag, 18. Juni 2015

Der Fisch stinkt immer vom Kopf

Hallo Ihr Lieben,


nun ist es soweit. Drei Akte eines Dramas waren versprochen, hier folgt nun Teil 3. Viele, ganz, ganz viele sicherlich auch lesenswerte und teilweise schockierende Anekdoten aus der Zeit meiner Ausbildung musste ich weglassen, um mich mit dem folgendem Text dem Ende widmen zu können. Aber ich wollte ja auch kein Buch schreiben. Und das wäre es sicher geworden. Außerdem denke ich, dass meine Botschaft eigentlich schon nach dem 1. Akt ersichtlich war. Nämlich: So kann es ganz sicher nicht weiter gehen! Nicht in der Krankenpflegeausbildung, nicht in der professionellen Pflege selbst, in keinem Krankenhaus, keinem Seniorenheim, keinem ambulanten Pflegedienst oder wo auch immer, sollten jemals solche Zustände herrschen. Nicht für Schülerinnen und Schüler, nicht für examiniertes Pflegepersonal, Pflegehilfskräfte, Praktikanten und ganz sicher nicht für das am häufigsten schwächste Glied der Kette, den Patienten.
Vergessen wir also die 152 Überstunden, die ich während meiner Ausbildung gemacht habe, die kurz vorm Examen im System einfach gelöscht wurden. Ignorieren wir den April indem ich 28 von 30 Tagen arbeiten musste inklusive Ostern, weshalb ich hinterher an meiner eigenen Toilettentür angeklopft habe, weil ich nicht mehr wusste wo oben und unten ist. Sehen wir drüber hinweg, dass ich absichtlich vor meinem praktischen Examen zum ersten Mal in 3 Jahren 6 Tage am Stück frei bekommen habe, damit ich auch ja keine Chance habe, einen meiner Prüfungspatienten vorher kennenzulernen. (Ihr merkt, ich könnte stundenlang so weiter machen.)
Nein, Schluss jetzt. Kommen wir nun direkt zum krönenden Abschluss eines 3 jährigen Spießrutenlaufs.


Der Fisch stinkt immer vom Kopf



Nachdem die letzten zwei Teilen beide von meinem ersten praktischen Einsatz handelten, nun ein ganz weiter Sprung auf dem Zeitstrahl. Knapp 3 Jahre später. Ich habe meine drei schriftlichen sowie meine praktische Prüfung (Trotz massiven Bemühungen der Examensstation, das zu verhindern. Allein dazu könnte ich seitenweise schreiben.) bereits bestanden.
Zeit für Bewerbungen also. Denn nun folgen ja „nur noch“ 3 mündliche Prüfungen und sollten die ebenfalls von Erfolg gekrönt sein, möchte man ja auch kurz um richtiges Geld verdienen.

Haha, der war gut! Richtiges Geld. Also ich meine damit mehr Geld als in der Ausbildung.

Egal, ich habe also angefangen Bewerbungen zu schreiben und, werdet es kaum glauben, aber unter anderem sogar in dem Haus, in dem ich gelernt hatte. Das allerdings hatte seine Gründe. Es gab dort, wie soll es umschreiben, zwei „Außenbezirke“. Und zwar die Psychiatrie und die Notaufnahmen. Diese funktionierten völlig entkoppelt von dem sonst nahezu immer gleichen Stationsbetrieb. Meinen Pflichteinsatz in der Psychiatrie empfinde ich auch heute noch als Atempause. Die Patienten hatten ganz anderen Pflegebedarf als Unterstützung bei der Körperpflege, Hilfe beim Toilettengang oder zur Mobilisation. Sie benötigten Gespräche, dass jemand da ist, dass jemand ihnen hilft ihren Alltag zu organisieren, so etwas eben. Und am meisten „entspannt“ haben mich die Kollegen. Dort gab es kein Kompetenzgerangel, kein „Ich Examiniert, Du Dreck“ Gehabe, kein Mobbing untereinander, nichts dergleichen. Klar hatte auch dort nicht jeder jeden lieb. Aber die Pflegekräfte hatten gelernt professionell damit umzugehen. Wer mit akuten Borderlinern arbeitet, kann offensichtlich auch dem Kollegen sagen, dass er seine Kaffeetasse doch bitte in die Spülmaschine räumen soll, ohne sich vorher mit 14 anderen verbünden zu müssen, um deswegen einen Krieg anzufangen. Faszinierend oder? Fazit Psychiatrie war cool. Eine Zeit lang hätte ich gern dort gearbeitet. Sicher nicht ewig aber um „runter zu kommen“ nach der Ausbildung schon ok. Und nun der 2. Außenbezirk. Die Notaufnahme. Der Einsatz dort war alles andere als entspannend und die Kollegen im Schnitt auch eher so...Geht so. Paar gute eben, paar Zicken, paar unauffällige. Dort war es eben die Arbeit, die mich lockte. In der Notaufnahme gibt es nichts schön zu reden. Dort wird gehandelt und zwar hoffentlich richtig. Da kann niemand im Nachhinein die Verantwortung abschieben mit „Das hat bestimmt der Spätdienst vergessen.“ oder „Das hat der Patient wohl falsch verstanden.“ Dort benötigt man Fachwissen und Erfahrung. Je mehr desto besser. Und je schneller Du bist desto besser. Außerdem beschwert sich auch kein Patient, der einen Herzinfarkt hatte darüber, dass er das Gefühl hatte abgefertigt zu werden, wenn ihm durch schnelles Handeln das Leben gerettet wurde. Während genau dieses „Abfertigen“ auf allen anderen Stationen eines der größten Probleme darstellt. Und irgendwie war der Wunsch, in einer Notaufnahme zu arbeiten, wohl auch die ersten Anzeichen der Flucht aus der Pflege. Denn was auch immer dort behandelt wird, mit Pflege hat das alles wenig zu tun.

Lange Rede kurzer Sinn. Ich kam nicht umher meine Bewerbungsunterlagen an Mr Wichtig Himself also den Pflegedirektor abzuschicken, weshalb ich mir ohnehin keine Hoffnungen machte, dass diese jemals in der Psychiatrie oder Notaufnahme ankommen werden. Denn selbst, wenn er vergessen haben sollte, wer ich war, hatte ich die Unverschämtheit besessen bereits in den Unterlagen klar zu formulieren, dass ich mich exakt für die beiden Stationen bewerbe. Solch Aufmüpfigkeit wird in einem Haus voller willenloser Untertanen überhaupt nicht gern gesehen. Um so überraschter war ich, als ich von der Schule über meinen Termin zu Vorstellungsgespräch informiert wurde. Zwei Tage vor der ersten mündlichen Prüfung. Na sowas, jetzt hatte ich bereits meinen Spind geräumt, die Klamotten zurückgeben, Namensschild und Mitarbeiterausweis an meinem letzten Arbeitstag an der Information zurückgelassen und den riesengroßen, fiesen Klotz mit einem gedanklichem 
Fickt Euch alle!
verabschiedet, als ich zum vermeintlich letzten Mal durch die Drehtür marschierte und dann das. Vorstellungsgespräch? Ernsthaft? Dann bekam ich mit, dass alle aus unserem Kurs, die sich dort beworben hatten, in diesen Tagen zum Gespräch eingeladen wurden. Ach so, ist also so ein „Wir tun mal so, als gäben wir hier jedem die gleiche Chance Ding.“ Könnte wohl schlechte Presse geben, wenn die eigenen „top-ausgebildeten“ Azubis, wenn sie denn bestanden haben, nicht auch in den heiligen Hallen empfangen werden. Das dachte ich zumindest. Aber ersten kommt es anders und zweitens....


Vorstellungsgespräch:

PD: „Guten Tag Frau *blättert in seinen Unterlagen* Schulze. Setzen Sie sich! Also Ihre Noten bislang... Zwischenzeugnis gut. (Das war nicht gut sondern hervorragend.) Die Ergebnisse der schriftlichen Prüfungen sind zufriedenstellend. (Die waren gut.) Aber im praktischen, ja, da ist ja wohl das Problem.

(Das „Problem“ heißt „befriedigend“ und liegt daran, dass das die einzige Prüfung war, auf die Ihr beschissen intrigantes Personal einen Einfluss hatte. Ich hatte keine Vorbereitung, kannte am Tag der Prüfung die Patienten nicht und dann wurden plötzlich alle Untersuchungen nochmal spontan umgeplant, damit ich auch ja noch Zeitdruck bekomme. Außerdem wurde einem Patienten ein falsches Medikament auf den Tisch gestellt, welches er natürlich auch noch sofort zu sich nahm, was für noch mehr Aufregung sorgte. Danke dafür! Und dennoch habe ich diese Prüfung mit „befriedigend“ bestanden. Das ist mehr wert als jede glatte 1 mit Vorlauf und ohne Spielchen. So!)

PD: „Sie wollen in der Psychiatrie arbeiten. Also da habe ich mit Herrn Schelzing drüber gesprochen, der kann sich das überhaupt nicht vorstellen. Offensichtlich haben sie bei ihm keinen so guten Eindruck hinterlassen.“


Wer ist Herr Schelzing?“

PD: „Die Stationsleitung der geschlossenen Psychiatrie. Sie haben doch dort gearbeitet oder nicht?“

Ja, 5 Nächte. Den Rest meines Einsatzes in der Psychiatrie arbeitete ich jedoch auf der Station...

PD: „Sehen Sie, dann kennen sie Herrn Schelzing ja.

Nein, denn Stationsleitungen arbeiten ja nicht nachts.“

PD: „Um es kurz zu machen, ich habe mit allen Mitarbeitern gesprochen und niemand hier im Haus möchte mit Ihnen zusammen arbeiten!

(Aha, über 3000 Angestellte, davon ca. 900 in der Pflege. Und er hat mit allen gesprochen, und leider fanden mich alle doof. Und weil er sich schon so eine Mühe gemacht hat, nur wegen meiner Bewerbung und so, musste er mir das Ergebnis jetzt natürlich auch persönlich mitteilen. Logisch oder?)

Ähm und Sie laden mich zu diesem Vorstellungsgespräch ein, nur um mir das mitzuteilen?

PD: „Ja!

Dann hoffe ich für Sie, dass es Ihnen jetzt besser geht, womit das Gespräch für mich dann aber auch beendet wäre.

PD: „Wann hier welches Gespräch zu Ende ist, entscheide immer noch ich!

Sie können ihr Gespräch gern allein fortsetzen, ich gehe jetzt! Auf wiedersehen!


Wie sich im Nachhinein herausstellte, war ich nicht einmal die einzige. Der (Achtung!) Kursbeste durfte sich ähnliche Unverschämtheiten anhören. Auch er ein Verfechter der Theorie „Ich bin hier um eine AusBILDUNG zu machen keine AusBEUTUNG.“ Böser Fehler offensichtlich.
Gut, die Nörgelei an den Noten funktionierte bei Ihm noch weniger als bei mir aber dann halt in dem Stil „Sie wirken immer so unmotiviert.“ Soziale Inkompetenz, keiner mag sie und solch harte Fakten eben.


Ok, diesmal ging es hier nicht um schockierende Berichte aus dem Krankenhausalltag. Nicht um gefährliche Pflege, Hygienefehler oder vernachlässigte Patienten. Und vielleicht wird dieser letzter Akt somit von einigen als eher unspektakulär empfunden. Nun muss man sich allerdings den Vorgang mal genauer betrachten. Da sitzt jemand, den ich bis dato genau 2 Mal gesehen hab, nämlich bei der Begrüßungsveranstaltung zu Beginn meiner Ausbildung und als er wutentbrannt über den Krankenhausflur der Onkologie an mir vorbei stapfte. Jemand, der verantwortlich zeichnet für über 900 Mitarbeiter. Das bitte nochmal auf der Zunge zergehen lassen: Über 900 Mitarbeiter! Und dieser Herr macht sich Mühe, einen Termin mit einer Schülerin zu vereinbaren, um sie

a) dreist zu belügen und
b) ihr 2 Tage vor den letzten Prüfungen zu sagen, wie scheiße sie doch ist.

Er will mich dort nicht haben. Bitteschön, das ist sein gutes Recht. Aber was sollte diese Show? Meine Chefin in der Psychiatrie hatte explizit darum gebeten, dass ich mich doch bewerben möge. Psychiatrie sei nicht wirklich beliebt bei den Anfängern, ihr fehle ständig vor allem junges Personal und ich würde sicher wunderbar ins Team passen. Mit dem Chef der Notaufnahme war ich per Du. Auch er hatte mir gute Chancen in Aussicht gestellt, sobald er meine Bewerbungsunterlagen auf dem Tisch liegen hat. Offensichtlich sind diese dort (wie ja bereits befürchtet) nie angekommen. Auch das wäre alles kein Problem gewesen. Wenn Mr Wichtig Himself den Störfaktor „Julia“ nicht haben will, dann muss er eben nicht. Dieser Auftritt allerdings machte mir einiges klar. Nein, ich hatte keinen Verfolgungswahn, wenn ich der Meinung war, dass es nahezu auf jeder Station Vorbehalte gegen mich gab. Nein, ich habe mir den Boykott meiner praktischen Prüfung nicht eingeredet. Das waren keine dummen Zufälle. Und nein, nicht ich bin die „Komische“, die offensichtlich überall aneckt, sondern die andere Seite ist krank. Sehr krank! Ich hatte meine Verleumdung nicht schweigend hingenommen (der Schule gegenüber zumindest nicht) und damit hatte ich mich gegen ein System aufgelehnt, das keinen Widerspruch duldet. Erst recht nicht von ganz, ganz, ganz unten in der Hierarchiekette. Eine Anfangsschülerin, die sich wehrt? Und die auch noch bleibt um ihr Examen zu machen? Das konnte man unmöglich „straffrei“ durchgehen lassen, hinterher könnte ein Stefan zum Beispiel auch noch auf die Idee kommen, seinen unbefristeten Vertrag dazu zu missbrauchen, um am System zu rütteln. Gott bewahre!
Dummerweise hatte dieses Gespräch das Gegenteil dessen bewirkt wozu es gedacht war, nämlich mich zu verunsichern. Vielleicht verreißt es die Julia ja doch noch in einer der letzten Prüfungen, wenn wir sie vorher nochmal so richtig fertig machen. Und in der Tat hätte ich dann ein Problem gehabt. Dieses Haus nochmal betreten? Ganz sicher nicht! Meine Unsicherheit aber war wie weggeblasen. Alles war plötzlich sehr eindeutig. Und ich sehr stolz auf mich, dass ich mich bis zuletzt dagegen gewehrt habe. Ich mag mein Rückgrat eben und möchte es gern behalten. Ich werde die letzten Prüfungen bestehen, weil ich gut bin. Nicht beliebt sondern fachlich gut. Die beliebten können Waschlappen falten und Bettdecken gerade ziehen, ich kann pflegen. Und so kam es dann auch. Meine mündlichen Prüfungen verliefen problemlos und keine Woche nach dem mir der Pflegedirektor klar machen wollte, dass ich ohnehin zu nichts tauge, unterschrieb ich bereits meinen Arbeitsvertrag in einer anderen Notaufnahme.

Für den größten Lacher kurz vor der Examensparty sorgte dann noch folgende Entscheidung unseres offensichtlich maßlos kompetenten obersten Oberchefs. Obwohl er zu Beginn der Ausbildung lauthals verkündet hatte, den besten dreien des Kurses in jedem Fall einen Arbeitsvertrag anzubieten, entschloss er sich kurzerhand dann doch für ein anderes Trio. Nämlich für 2 stille Damen aus dem leistungsmäßigen Mittelfeld und, jetzt bitte nicht lachen, die schlechteste. Zum Dank für diesen Vertrauensbonus namens Arbeitsvertrag, versemmelte diese dann auch (wie erwartet) ihre Prüfungen und der geschätzte Pflegedirektor stand mit einer Stelle zu wenig da.
Tja, dumm gelaufen.


Mein Fazit nun und das richtet sich an alle: Von Schülern und examinierten Kollegen über Führungskräfte und Praktikanten bis hin zu Patienten und Angehörigen: Lasst Euch das nicht bieten! Wenn ihr Missstände beobachtet, sprecht sie an! Macht es anders! Lasst Euch nicht unter kriegen, weil vermeidlich „alle“ gegen Euch sind. Nur weil viele in eine Richtung rennen heißt das noch lange nicht, dass es der richtige Weg ist. Wenn wir nicht endlich anfangen uns aufzulehnen gegen solche Systeme, wer dann?


So, die @emergencymum hat fertig.


Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit! :)

Montag, 15. Juni 2015

Ein Zwischenbericht

Hallo Ihr Lieben,

eigentlich wollte ich Euch jetzt schon den 3. Teil meiner wunderschönen Reihe über den liebevollen Umgang meines Ex-Arbeitgebers und seinen Untertanen mit dem Verbrauchsmaterial Krankenpflegeschüler präsentieren. Nach den ersten beiden Teilen jedoch bin ich ständig gefragt worden „Warum hast Du da bloß weiter gemacht?“ Eine durchaus berechtigte Frage. So berechtigt, dass ich mir zunächst selbst einmal dazu ein paar Gedanken machen musste um eine ehrliche Antwort darauf geben zu können. Drei Gründe haben sich dabei heraus kristallisiert. Nämlich:
 a) Mit dem Rücken zur Wand stehen
 b) Trotz und 
 c) Der Rückhalt in der Familie besonders der meines Mannes. 
Um das zu erklären muss ich ein bisschen ausholen. Es ist aber auch irgendwie wichtig, das zu verstehen, bevor ihr den 3. Teil lest. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, erst mal diesen Zwischenbericht zu schreiben bevor ich euch mit dem letzten Teil nochmal die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lasse. Aber lest einfach selbst!


Ein Zwischenbericht



Völlig überfordert und schlecht behandelt werden. Seelisch gequält und verleumdet. Dabei zusehen müssen, wie hilflose Menschen im Stich gelassen werden ohne die geringste Chance daran irgendetwas ändern zu können. Aber am nächsten Tag wieder zur Arbeit kommen um sich innerhalb von nur 8 Stunden an die körperlichen und seelischen Grenzen schuften zu dürfen. Warum tut man so etwas? Beziehungsweise warum habe ich das getan? Der Versuch einer Erklärung.

Mit dem Rücken zur Wand

Nun, beruflich war ich bis zu Beginn meiner Ausbildung, na formulieren wir es nett, ein wenig sprunghaft. Hier was angefangen, da quer eingestiegen, noch ein bisschen Schule nebenher, ups schwanger. Ihr kennt das. ;) Mit dem Ergebnis: Viel Erfahrung in vielen verschiedenen Dingen aber keinen adäquaten Abschluss. Mich beruflich auszuprobieren in jungen Jahren war sicher gar nicht so verkehrt. Wenn dann allerdings plötzlich so ein kleiner Minimensch Mama zu Dir sagt, wird irgendwie alles anders. Die Leichtigkeit ist dahin und ich spürte das dringende Bedürfnis nun jetzt doch endlich irgendetwas auch mal zu Ende zu bringen. So mit Zettel in der Hand worauf bescheinigt ist „Die kann das wirklich!“ Und ich hatte mich, nach den Erfahrungen mit meiner sterbenden Oma, nun mal für diesen Beruf entschieden. Ich wollte beruflich helfen, Menschen professionell auf ihrem Weg begleiten ob in die Gesundheit oder in den Tod. Aber nicht „so ein bisschen nebenbei“, sondern richtig, mit Fachkompetenz und Anerkennung eben. Und dazu benötige ich nun mal dieses verdammte Examen.

Trotz

Die Stationsleitung der Onkologie war sich dank meiner Probezeit sicher, mit Stefans Auftritt das „Problem Julia“ ein für allemal entsorgt zu haben. Das war deutlich an ihrem entgleisendem Gesichtsausdruck zu erkennen, als ich am nächsten Tag pünktlich um 5.45 Uhr zum Kaffee kochen erschien. Jetzt musste Sie doch noch eine Schippe drauf legen und tatsächlich Meldung in der Schule machen, dass diese Schülerin ja keinesfalls tragbar sei. Was sie nicht wusste, ich war bereits dort. Unmittelbar nach meinem Abgang auf Station, bin ich nämlich zur Schule marschiert. 3 Mal tief Durchatmen, Tränen aus dem Gesicht wischen und um ein Gespräch mit meiner Klassenlehrerin bitten. Sie zweifelte keine Sekunde an meiner Aussage und ihr war sofort klar, dass niemand seitens des Krankenhauses jemals offiziell diese Geschichte an die Schule weiterleiten würde. Isoliertes Zimmer? Patientin, die Chemotherapie bekommt? Erstsemester Schülerin allein dort drin? So etwas einer Krankenpflegeschule telefonisch oder gar schriftlich mitzuteilen gleicht einer Selbstanzeige. Weshalb das Telefonat der Stationleitung am nächsten Tag auch irgendwie anders verlief als sie es wohl geplant hatte. Wie sich beim darauffolgendem Gespräch mit meiner Klassenlehrerin und der Direktorin der Schule herausstellte lief das Telefonat wohl in etwa so:

„Guten Tag, hier spricht die Stationsleitung der Onkologie. Es geht um ihre Unterkursschülerin hier bei uns. Also die wirkt total unmotiviert (das ist übrigens der Klassiker an Formulierung mit der Schüler, die nichts falsch gemacht haben, kritisiert werden) und im Umgang mit den Patienten ist sie eigentlich nicht tragbar.“

„Sie sprechen also über Julia, nach den ersten Klausuren eine der besten ihres Kurses. Im Umgang mit welchen Patienten ist sie denn untragbar? Vielleicht mit isolierten MRSA Patienten, die Chemotherapie erhalten und damit eine massive Gefahr für meine Schüler darstellen sofern sie den Umgang damit noch nicht lernen konnten, was bei einer Erstsemester Schülerin im Anfangsblock wohl eindeutig der Fall sein dürfte?“

„Ähm nein, wie kommen sie denn auf so etwas?“

„Hören Sie, es ist mir bereits mehrfach zu Ohren gekommen, dass sie offensichtlich ein Problem damit haben, seit kurzem auch Anfangsschüler von uns zugeteilt zu bekommen. Sollten sie sich also nicht in der Lage sehen, diese in den Stationsalltag zu integrieren und während des Einsatzes auf ihrer Station angemessen praktisch auszubilden, leite ich das natürlich umgehend so weiter. Sie werden dann ab sofort aus der Planung ausgeschlossen. Das gilt dann allerdings für ALLE unserer Schülerinnen und Schüler.“

„Nein, natürlich ist das überhaupt kein Problem. Danke für das Gespräch.“

(An dieser Stelle möchte ich kurz erwähnen, das es unter keinen Umständen möglich gewesen wäre auch nur eine einzige Station in diesem Haus ohne Schüler aufrecht zu erhalten. Zum Teil waren mehr Schüler als examinierte im Dienst, an Wochenenden und Feiertagen sowieso. Ohne Schüler kein Waschen, kein Frühstück, kein Kaffee, niemand der aufräumt, Klingeln abarbeiten usw. Absolut undenkbar ohne das festangestellte examinierte Personal nicht mindestens zu verdoppeln.)


Meine Klassenlehrerin bot mir an, persönlich mit zur Station zu gehen um die Angelegenheit zu „klären“. Gleichzeitig erklärte sie mir aber, dass wenn sie nun „dieses Fass auf macht“ ich das mit Sicherheit bis zum Ende meines Einsatzes wenn nicht sogar bis zum Ende meiner Ausbildung werde zu spüren bekommen. Wörtlich sagte sie.“Die werden versuchen dich auflaufen zu lassen wo es nur geht. Das wird ein einziger Spießrutenlauf.“
Sie hätte nur Einfluss auf meinen schulischen Weg, zu den Praxiseinsätzen könne sie mich schlecht täglich begleiten. Hätte ich damals gewusst, dass dies ohnehin exakt genau so passieren wird, hätte ich ganz sicher jedes verdammte Fass aufgemacht, was es aufzumachen gab. Tja nun, damals ließ ich es. Aber es war mir immerhin eine große Genugtuung, jeden Tag wieder in das dumme Gesicht der Stationsleitung zu blicken, wenn ich sie freudestrahlend (ja, wenn ich will bin ich eine super Schauspielerin) begrüßte. Schülerin 1 Stationsleitung 0.
Und eines schönen Tages wird die Julia dann mit ihrem Examen in der Tasche hier raus marschieren, Dir den Mittelfinger zeigen und du dämlich Plinse kannst überhaupt rein gar nichts dagegen tun! Ha!



Rückhalt in der Familie

Wie Ihr ja wisst, ist mein Mann ebenfalls Krankenpfleger. Und ich denke, das war meine Rettung. Keinem normalen Menschen (und mit normal meine ich alle, die nicht in der Pflege arbeiten) hätte ich erklären können, was ich durchmache und warum. Er wusste es. Er kannte die Ausbildung, die Bedingungen, den Schock, wenn man bemerkt, dass die wenigsten in der Pflege noch annähernd sauber ticken, sondern entweder auf dem besten Weg sind, selbst kaputt zu gehen oder schon dabei sind andere für sich über die Klippe springen zu lassen.
Dann noch meine Schwiegereltern, die sich im 3 Schichtbetrieb um unseren Sohn gekümmert haben und das Unmögliche möglich gemacht haben, was die Kinderbetreuung angeht. Der Kleine wurde sogar mit in den Kurzurlaub genommen damit ich mich auf Prüfungen vorbereiten konnte ohne ein schlechtes Gewissen zu haben oder auch damit mein Mann und ich einfach zwischendurch mal durchatmen konnten. Alle haben irgendwie Opfer gebracht, damit ich das durchziehen kann. Das mag jetzt zu Beginn der Ausbildung noch nicht so ausschlaggebend gewesen zu sein, je länger es dauerte um so wichtiger hingegen wurde es. Einfach alles hinschmeißen war irgendwann einfach keine Option mehr.

Ich hoffe, dass Ihr mich nun etwas besser versteht und ja, in Kürze mache ich mich dann auch dran und schreibe Euch endlich den 3. und letzten Teil. Danach habt ihr dann erst mal wieder Ruhe vor meinen Horrorgeschichten. ;)

Eure @emergencymum


Samstag, 13. Juni 2015

Der zweite Akt: "Von Kühen und Schweinen"

Hallo Ihr Lieben,

da bin ich wieder. Ihr wollt ja nun sicher wissen, wie es mit meinem Kumpel Stefan so weiter ging. Der 2. Teil meiner Reihe „Warum ich auf Twitter so dermaßen ausraste, wenn es um mein Lehr- *räusper* Krankenhaus geht“ wird Eure Neugier sicher befriedigen. Allerdings möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, dass dies keine Schilderung eines traurigen Einzelfalles ist. Ihr werdet wohl nicht sonderlich überrascht sein, dass ich nicht die einzige war, die so ihre Schwierigkeiten damit hatte, zu verstehen „wie Krankenhaus denn so läuft“. Meine Geschichte steht hier stellvertretend für viele Geschichten dieser Art. Die Dreistigkeit mit der systematisch gemobbt, gelogen, betrogen und verleumdet wurde wenn das Opfer im vermeidlichen Abhängigkeitsverhältnis steht, könnte durchaus für Erstaunen sorgen, aber lest einfach selbst!

Der 2. Akt:


„Von Kühen und Schweinen!“


Die Patientin in ihrem isolierten Zimmer, verwirrt, abgemagert, halb tot, Ihr erinnert Euch? Die Patientin, für die sich niemand interessiert hat, weil es einfach umständlich und lästig ist, sich an- und auszuziehen, bloß um nach einer todkranken Frau zu sehen. Die Patientin, bei der offensichtlich völlig scheiß egal war ob jemand, der lediglich 4 Woche Schule hatte, sie durch Unwissenheit verletzt oder womöglich umbringt. Genau die Patientin, ich nenne sie einfach mal Frau Seiler, kam plötzlich zu einer Aufmerksamkeit von ungeahntem Ausmaß. Die einzige Rettung für Menschen wie sie, die im Krankenhausalltag einfach nur stören und keiner sehen will, sind Angehörige, die das
a) überhaupt bemerken und 
b) deshalb ein riesen Theater machen. 
Oder engagiertes Pflegepersonal mit Durchsetzungskraft. Oder noch besser, Pflegepersonal als Angehörige, da liegt die Klage bereits drohend in der Luft und deshalb geben die Kollegen immer besonders Gas und sichern sich dreifach ab, eh da noch was schief geht. Aber das ist ein anderes Thema. 
Unsere Patientin jedenfalls hatte Besuch. Dieser hatte natürlich überhaupt keine Ahnung, was die Zustände angeht, in der ihre Mutter (und das muss ich leider genau so formulieren) dahin vegetierte. Aber das war völlig egal, denn es reicht schon, wenn Angehörige aus Prinzip gern alles bemängeln, wenn sie es einmal im Quartal zu ihrer todkranken Mutter ins Krankenhaus schaffen. Allerdings gab es diesmal sogar einen konkreten Anlass. Mama hatte behauptet von einer Schwester beschimpft und bedroht worden zu sein und zwar mit folgendem Wortlaut: 
Jetzt halt endlich die Fresse, sonst lasse ich Dich hier verrecken!“ 
Nun gut, die Patientin steht unter Medikamenten, ist zwischenzeitlich völlig desorientiert und schlägt nach dem Pflegepersonal weil sie meint, vergiftet zu werden. Man könnte den Wahrheitsgehalt dieser Aussage somit durchaus anzweifeln. Dennoch glaubte ich der Frau aufs Wort.
Aber jetzt mal der Reihe nach.
An besagten Tag komme ich zum Frühdienst. 15 Minuten zu früh, wie es von mir erwartet wird, und koche Kaffee. Nachtdienst hatte „der Bauer“. Der Bauer ist weiblich, geht auf die 50 zu und ist Dauernachtwache auf der Station und somit ausschließlich nachts und allein im Dienst. Bauer wird sie liebevoll von sämtlichen Kollegen in ihrer Abwesenheit genannt aufgrund ihrer „außergewöhnlichen“ Übergaben. Sie hat nämlich offensichtlich nie Patienten über Nacht betreut sondern Tiere. Sätze wie „Und dann hat das Schwein auch noch nach mir geschlagen.“ oder „Die arrogante Kuh meint wohl, ich hätte nichts anderes zu tun, als ihr das scheiß Wasser zu bringen.“ oder „Die Sau hat wieder an der Urinflasche vorbei gepisst.“ sind bei Schwester Bauer keine Seltenheit. Um es kurz zu fassen. Schwester Bauer hasst Patienten und gibt sich auch keinerlei Mühe ihre Verachtung zu verbergen.
Der Dienst beginnt also wie immer mit einer Übergabe, in der uns detailliert zwischen Kaffee 1 und Kaffee 3 berichtet wird, wie scheiße die Patienten doch zu ihr waren. Allen voran die verhasste Alte aus der 14 alias Frau Seiler. „Die klingelt andauernd, und wenn ich dann das Licht einfach ausmache, damit die endlich Ruhe gibt, fängt die auch noch an zu schreien. Ich zieh mich doch nicht 100 Mal die Nacht an und aus, bloß damit die Irre ihre Zähne nach mir schmeißt. Irgendwann reicht es auch mal. Sowas lasse ich mir nicht bieten!“

(Um meinen Berufsstand hier nicht völlig in den Dreck zu ziehen, möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich so ein Verhalten nie wieder im Klinikalltag erlebt habe. Sicherlich kommt nicht jeder Patient gut dabei weg, wenn im Dienstzimmer hinter geschlossenen Türen über ihn gesprochen wird und es gibt Kollegen, die mal mehr und mal weniger auf ihre Sprache achten. Aber jemandem wie Schwester Bauer bin ich seitdem nie wieder begegnet.)

Der Tag beginnt also wie immer, bis kurz vor Mittag. Menschenansammlung auf dem Flur. Stationsleitung, Kolleginnen, Ärzte, die Kinder der „Irren aus der 14“ diskutieren lauthals. Ich habe natürlich viel zu viel zu tun, um zu diesem Zeitpunkt bereits mitzubekommen, was da nun genau los ist. Kurze Zeit später stampft Mr Wichtig Himself alias Pflegedienstleitung dann über den Flur richtung Dienstzimmer.
Oh Gott, jetzt wird es ernst. Also entweder wird jemand für 25 Dienstjahre ausgezeichnet oder irgendwas ist gewaltig schief gelaufen.
Dem Gebrüll nach zu urteilen, dass ich selbst am andere Ende der Station noch hören kann, tippe ich auf letzteres. Naja, nicht mein Problem, denke ich, und erzählen worum es geht wird mir hier sowieso niemand. Also einfach weiter arbeiten, ist ja nicht mehr lang bis Feierabend.
Kurz vor Schluss dann, ihr ahnt es vielleicht, Auftritt Stefan.
Ich müsse länger bleiben, weil wir nach Dienstende noch reden müssten. 
Ignorieren wir jetzt einfach mal die Tatsache, dass ich nicht ausschließlich Schülerin sondern „neben bei“ auch noch Mutter bin, mein Kind womöglich pünktlich aus dem Kindergarten abgeholt werden müsste und es durchaus möglich gewesen wäre, dass jemand anderes den Kaffee austeilt, damit diese Gespräch innerhalb meiner Arbeitszeit hätte statt finden können und kommen wir direkt zu Stefans Vortrag:
Da steht er, im Dienstzimmer, es ist ihm offensichtlich unangenehm mit mir sprechen zu müssen, aber er tut es trotzdem. Nämlich mir den Vortrag halten, den die Sationsleitung ihm kurz zu vor diktiert hat:
Du kannst so nicht mit Patienten umgehen. Beleidigungen und Drohungen, das geht gar nicht. Wir haben den Angehörigen von Frau Seiler erklärt, dass Du eine Anfangsschülerin bist und wohl einfach überfordert warst. So etwas darf natürlich nicht wieder vorkommen und wir werden auch die Schule darüber informieren müssen. Vielleicht ist das ja doch nicht der richtige Beruf für dich...

Ich unterbreche Stefan mit den Worten „Es würde mir viel leichter fallen, Dir zu folgen, wenn du mir erst mal erklären würdest, für was genau ich denn jetzt den Kopf hin halten soll.“
Stefan erklärt sofort. Frau Seiler ist wüst beschimpft und bedroht worden. „Jetzt halt endlich die Fresse, sonst lasse ich dich hier verrecken!“ hat JEMAND gesagt. Die Angehören sind zurecht außer sich. Sie haben sich bei den Ärzten beschwert, die wiederum die Pflegedienstleitung informiert hätten usw.
Merkt Ihr was? 
Stefan erklärt mir gerade, was ICH gesagt haben soll. Weil er genau weiß, dass ich das ganz sicher niemals gesagt habe. Schlimmer noch: Jeder weiß, wer das tatsächlich gesagt haben wird. Schließlich hat der Bauer in der Übergabe ja jedermann teilhaben lassen an ihrer „Auseinandersetzung“ mit Frau Seiler. Und genau das antworte ich Stefan dann auch. „Jeder hier weiß, dass ich das nicht war. Genau wie jeder hier weiß, wer es war. Was Du hier machst ist völlig bekloppt.“ Bis zu diesem Zeitpunkt war ich erstaunlicherweise noch völlig ruhig. Aber dann kam etwas, womit ich wirklich nicht gerechnet hatte. Stefan machte einfach weiter.
Also mit dem Vortrag. Ich müsse das jetzt mit der Schule klären. Die Stationsleitung und alle anderen würden nun genauer hinsehen, wie ich mit Patienten umgehen und meine Benotung kann natürlich jetzt auch nicht mehr gut ausfallen. Bla bla bla...

Kennt ihr das, wenn man so dermaßen wütend wird, dass man anfängt zu heulen und dann noch wütender wird, weil man merkt, dass man zu heulen anfängt? So ging es mir in diesem Moment. Ich bekam lediglich noch ein „Was bist Du bloß für ein armseliges Arschloch raus!“ und bin gegangen. Hatte ja auch schon längst Feierabend.

Jetzt muss ich mich erst mal erholen. Selbst Jahre später steigt mein Blutdruck noch in ungeahnte Höhen, während ich diese Zeilen schreibe. Das Endergebnis kennt Ihr ja bereits. Trotz meiner Faulheit, Inkompetenz und den wüsten Beschimpfungen meinerseits gegen mir anvertraute Patienten, bin ich letztendlich dann doch Krankenschwester geworden. Warum ich geblieben bin und wer sich alles außerdem noch ganz viel Mühe gegeben hat, das bis zum Schluß zu verhindern, erfahrt Ihr dann im letzten Teil.

Eure @emergencymum

Freitag, 12. Juni 2015

Wenn Ahnungslosikeit auf Ignoranz trifft, System Krankenpflegeausbildung..

Hallo Ihr Lieben,

jetzt habe ich des öfteren ja nun schon auf Twitter über meine Ausbildung geschimpft. Nach einigen Überlegungen, habe ich nun doch den Schluss gefasst, mal ausführlich zu berichten. 3 Jahre lang Scheiße am laufenden Band möchte ich Euch aber nun auch nicht antun, weshalb ich mich für ein Drama in 3 Akten entschieden haben. Hier folgt nun gleich der 1. Akt. 1. Station, 1. Einsatz im Krankenhaus. Ich hoffe, ich kann annähernd rüber bringen, wie ich mich damals gefühlt habe und warum. Ich weiß es nämlich heute noch genau. Wie so ein Albtraum, den man nie wieder vergisst. Eigentlich ganz weit weg, aber denkst Du drüber nach, geht der ganze Körper auf Alarmstufe. Naja, genug der Einleitung. Lest selbst!


Wenn Ahnungslosigkeit auf Ignoranz trifft


4 Wochen Schule sind rum. Ich weiß wie ich einen Waschlappen halten muss, kenne die nötigsten Hygienevorschriften, habe einen Spind und passende Schülerklamotten und weiß was ich zu lassen habe. Nämlich alles wovon ich keine Ahnung habe. Bloß keine Patienten kaputt machen. Am besten überhaupt nichts kaputt machen. Los geht`s in den ersten Praxisblock im Krankenhaus. „Hallo, ich bin Julia, ich bin hier für 3 Monate die Schülerin.“ (Nein, ich heiße nicht wirklich Julia. Aber das ist auch völlig egal. Meinen Namen werde ich ohnehin die nächsten 3 Jahre im beruflichen Alltag nur noch äußerst selten hören.)
„Ja Moment, ich hole Stefan. Ich glaube der soll den Bezugspfleger für Dich machen. Du bist die erste vom Unterkurs oder?“
Dass das eins der größten Probleme für mich werden sollten, war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst.

Unterkurs = kann nix = was sollen die eigentlich hier auf der Station?

Stefan stellt sich vor. Stefan ist nett. Wirklich nett. Stefan ist froh, dass ich die 20 bereits überschritten habe und sogar schon Mama bin. Das ist eben die Onkologie. Und viele junge Mädchen kommen damit nicht so richtig klar. Sterbende. Menschen, die es wahrscheinlich nicht schaffen werden. Das ist oft zu viel „für die ganz jungen Dinger“. Ich erkläre Stefan, dass meine sterbende Oma der Auslöser dafür war, diese Ausbildung anzufangen und meine kaufmännische „Karriere“ nicht weiter zu verfolgen. Ich komm schon klar. Hauptsache mir wird alles erklärt. Ich möchte um Gottes Willen nichts falsch machen. Stefan legt los. Wir müssen jetzt los. Station zeigen läuft „im laufenden Betrieb“. Die Patienten müssen gewaschen, gemessen, mit Medikamenten versorgt werden usw. Ich folge. Stefan erklärt mir, was er tut. Direkt mal einen Katheter neu legen. Stefan erklärt wie es geht, zeigt mir die Kurven, die Diagnosen, die Medikamente, was wichtig ist zu beachten. Wir gehen von Patient zu Patient. Ich helfe wo ich kann. (was natürlich jetzt nicht so besonders viel ist) Der Tag geht rum wie nichts. Ich habe 1000 Informationen im Kopf aber das war toll! Ich werde jetzt echt Krankenschwester. Meine Güte, was muss ich noch alles lernen aber am Ende bin ich tatsächlich Krankenschwester. Stimmt ja gar nicht, was die von den Kursen über uns erzählt haben. Von wegen musst Dir alles allein beibringen. Keiner erklärt Dir was. Waschen, waschen, waschen sonst nichts. Ich hab Stefan, alles wird gut.
Dieser Enthusiasmus hielt genau 2 Frühdienste an.
Am 3. Tag musste ich nämlich zur Stationsleitung. Die war völlig außer sich. Was mir einfallen würde, meine Arbeit nicht zu machen. Schlimm genug, dass die Schule jetzt auf die völlig bekloppte Idee käme, Unterkursschüler auf die Onkologie zu schicken. Die hätten da eh nichts zu suchen. Aber ich wäre auch noch faul und würde nicht mal meine Arbeit machen. Das müsste dann alles die arme Jahrespraktikantin allein erledigen. Und was ich mir überhaupt dabei denken würde wie Krankenhaus so läuft.

Ja, um es wie auf Twitter zu formulieren: So habe ich auch geguckt.

Was habe ich falsch gemacht? Was sind denn „meine Aufgaben“? Und überhaupt. Wie läuft denn so ein Krankenhaus? Woher sollte ich es wissen? Ich habe kein Praktikum im Krankenhaus gemacht. Keine Mutter, die schon seit Jahren im Haus arbeitet. Keine Erfahrungen. Null! Ich habe nicht mal als Patientin jemals im Krankenhaus gelegen. (unser Sohn wurde, wie alle unsere Kinder, in einer Geburtsklinik geboren) Ich habe nur ein paar Tage meine Oma zu Hause „gepflegt“ und anschließend im Hospiz ihr Sterben begleitet. Dankbar, dass professionelles Pflegepersonal dort war, die meiner Oma und auch uns Angehörigen ganz toll zur Seite gestanden haben, weshalb ich auch Krankenschwester werden wollte.

Was will diese Frau von mir? Die Antwort ist ganz einfach. Zumindest, wenn man es mir vorher gesagt hätte.

  1. Zusammen mit der Jahrespraktikantin alle „einfachen“ Patienten waschen
  2. Wäschewagen auffüllen
  3. Müll und Schmutzwäsche wegbringen
  4. Zu allen Klingeln gehen, Hilfe holen, wenn nötig, sonst selbst abarbeiten
  5. 1 Seite Frühstück verteilen (andere macht die Jahrespraktikantin)
  6. Frühstück wieder einsammeln
  7. Zuckerrunde (meine Kollegen werden wissen, was das sein soll)
  8. Im Früh- wie im Spätdienst 15 Minuten eher kommen und Kaffee für die Übergabe kochen
  9. In der Pause der Examinierten die Patienten ruhig stellen
  10. rennen, rennen, rennen (sonst sieht das so faul aus und gibt ne schlechte Benotung)

Natürlich habe ich, nachdem ich mitbekommen habe, was so von mir erwartet wird, all diese Aufgaben auch erledigt. Jeden Tag. Manchmal auch 14 Tage am Stück. 3 Jahre lang. Aber es war zu spät. Rückblickend muss ich leider sagen, dass ab diesem Tag offensichtlich im ganzen Haus das Gerücht „Die hat es nicht nötig Schüleraufgaben zu machen. Die hält sich wohl für was besseres:“ bereits vor mir da war.
Aber das war natürlich nicht alles. Da war ja noch der Stefan. Mein Bezugspfleger. Also irgendwie auch Schuld an der Misere, dass die olle Schülerin nicht rund läuft. Offensichtlich haben „die“ das dem Stefan dann auch gesagt. Denn ab diesem, meinem 3. praktischen Ausbildungstag, war der Stefan auch nicht mehr so der Alte. Anweisungen, was ich gefälligst zu erledigen habe, das ging noch. Sonst nichts mehr. Für Erklärungen leider keine Zeit. Mit mir zusammen arbeiten? Leider keine Zeit. Die Wäschewagen müssen noch und so.
Selbst darauf hätte ich mich einstellen können. Stefan war anzumerken, dass er unter Druck gesetzt wurde. Und auch wenn nicht mehr viel an sinnvollen Informationen, meine Ausbildung betreffend, von ihm bei mir ankamen, so hat er dennoch versucht, mir immerhin zu zeigen, wie ich die „Schülernummer“ bestmöglich erfüllen kann. Na immerhin. Stefan ist EIGENTLICH ein Netter. Er darf nur nicht so, wie er möchte.
Dachte ich. Dann allerdings kam die Sache mit der isolierten Patientin. (Für die Nicht-Pflegekräfte unter den Lesern: Verboten für Schüler! Isolierte Patienten sind verboten! Und allein schon mal gar nicht und als Unterkursschülerin im 1. Einsatz sowieso ÜBERHAUPT GAR NICHT!!!)
Ich kann nicht einmal mehr sagen, was die Patientin konkret hatte. Krebs halt. Eine sterbende Frau, vollgepumpt mit unzähligen Medikamenten, die gleichzeitig über ein Wirrwarr von Infusionen in den kaum noch vorhandenen Körper laufen. Dünn war sie, viel zu dünn. Und wie gesagt, isoliert. Das bedeutet also, dass wir nur in Schutzkleidung das Zimmer betreten dürfen. Mit Haube, Mundschutz, Kittel, Handschuhen und allem was dazu gehört. Das ist natürlich lästig. Erst recht bei den sommerlichen Temperaturen. Anziehen, schwitzen, ausziehen, dann sieht man schon mal den Rest des Tages echt scheiße aus. Außerdem ist die Patientin zeitweise völlig verwirrt und wird dann aggressiv. Schlägt und beißt, wirft alles, was ihr zwischen die Finger kommt, weil wir sie ja vergiften wollen. Das ist noch lästiger. Und deshalb kann es für das examinierte Pflegepersonal nur eine Lösung geben: Die Schülerin muss da rein.
Ich bekam also eine kurze Erklärung, was ich anzuziehen habe und dass ich ja die Finger von allen Infusionen und Pumpen zu lassen habe und dann rein da. Waschen. Allein.
An meine Kollegen hier mal: Kann sich einer von Euch vorstellen jemanden zu waschen und umzuziehen (normale Kleidung) ohne eine einzige Infusion abzustöpseln? Ich jedenfalls sollte das genau so tun und dann schnell nach einem Kollegen klingeln, der kurz „entkabelt“, Klamotten drüber, wieder anschließt, mir das Frühstück inklusive Medikamente in die Hand drückt und mit den Worten „Guck, was du rein kriegst!“ wieder abhaut.
So stellt man sich liebevolle Pflege vor oder? Die Patienten halb nackt im Bett liegen lassen, bis sich jemand examiniertes findet, der mal kurz „um stöpselt“ und tschüss. Danach Essen „in die Patientin reinkriegen“, weil die ja eh wieder Theater macht von wegen Vergiften und so. Wo bin ich hier bloß gelandet? Was stimmt mit denen nicht? So kann man doch nicht mit Menschen umgehen.
Ich hätte am liebsten geheult. Aber beim Anblick der Patientin kam ich mir lächerlich vor. Die Frau liegt im Sterben, ist verwirrt, hat Angst und wird vom Pflegepersonal konsequent ignoriert. Und die einzige Person, die ihr hilft, bin ich. Die blöde Unterkursschülerin, die völlig überfordert ist und eigentlich keine Ahnung hat, was sie da tut. Die Frau hat ein viel größeres Problem als ich, dachte ich. Also tat ich einfach mein Bestes.
Von dem Tag an, durfte ich jedenfalls täglich zu dieser Patientin. Auch dann noch wenn die Nachtschwester berichtete, dass sie angegriffen und gebissen wurde, interessierte das keinen. Geht ja eh die Schülerin rein, was soll`s? Überhaupt interessierte sich niemand für die Patientin und für mich schon mal gar nicht. Ich funktionierte ja nun endlich, erledigte brav alle „Schüleraufgaben“ und das war es dann auch. Genau genommen brauchte man nicht einmal mehr mit mir zu reden. Es sei denn irgendetwas dauerte zu lange. Das wurde natürlich sofort kommuniziert. Aber was erklären? Fehlanzeige. Meine Fragen beantworten? Um Gottes Willen, keine Zeit. Nicht einmal, wenn ich von der Patientin berichten wollte, hat mir jemand zugehört. Die zuständigen Schwester schrieb jeden Tag ausführlich ihre Dokumentation über eine Patientin, die sie nicht einmal gesehen hatte und hakte Pflegeleistungen mit ihrem Namen ab ohne überhaupt zu wissen, ob ich das auch getan hatte. Langsam begriff ich „wie Krankenhaus so läuft“.

Jetzt fragt ihr Euch bestimmt, wo ist denn der Stefan hin? Der Nette. Das fragte ich mich damals auch. Aber keine Sorge, Stefan bekommt noch seinen Auftritt. Einen ganz großen Auftritt sogar. Aber dazu komme ich dann im 2. Akt. 


Eure @emergencymum

Donnerstag, 4. Juni 2015

Zuwanderung wird es nicht Lösen

Zuwanderung als Lösung

In letzter Zeit findet man immer wieder die allmächtige Lösung für all unsere Probleme in denSozialsystemen: Zuwanderung!
Jetzt kann man mal mit Fug und Recht fragen, was genau soll sie bewirken und wie soll sie gestaltet sein?

Beispiel: Pflegenotstand in Deutschland. Hier soll die Zuwanderung helfen.

Dazu allerdings wäre ja folgendes Voraussetzung: Wir finden Zuwanderer, die qualifiziert sind als Pflegefachkräfte hier bei uns zu arbeiten. Sprich examiniertes Personal. Weiterhin denke ich, (und ich hoffe damit bin ich nicht alleine) ist eine umfangreiche Sprachkenntnis dringend geboten um im täglichen Umgang mit Patienten zu bestehen.

Die Frage ist: Wo finden wir das?

Spanien zum Beispiel, hohe Arbeitslosigkeit, EU Ausland, da sollte was gehen.
Klappt dann aber doch irgendwie nicht so richtig, warum nur? Beleuchten wir mal die Fakten: In Spanien ist die Krankenpflege ein Studium, also top-qualifizierte Leute, die sicher auch in der Lage sind deutsch zu lernen.
Allerdings glaube ich, dass wir da mächtig auf dem Holzweg sind und das gleich auf mehreren Spuren.
Die Pflege in Deutschland besteht aus verdammt viel fachfremder Arbeit. Weiterhin sollte man mal genau überlegen, warum entsteht in Deutschland ein Pflegenotstand? Allgemein wird gesagt, esentscheiden sich nicht genug Menschen für diesen attraktiven und angesehenen Beruf. Da sag ich mal: Dreist in die Tasche gelogen!
Ich sage auch warum, zuerst der Funken Wahrheit: Es entscheiden sich wirklich zu wenige für die Pflege, aber die Gründe sind nicht, weil sie nicht erkennen, dass der Beruf so attraktive Möglichkeiten bietet und bei denen die es glauben, falle ich vom Glauben ab.
Ein Beispiel: In einer Sendung wie Jauch oder ähnlichen Konsorten wird über Pflege gesprochen. Eine junge Dame in Ausbildung spricht über den Beruf und zeichnet ihn in schönsten Farben. Im Verlauf sagt sie, besonders die zahlreichen Fortbildungsmöglichkeiten würden sie interessieren, zum Beispiel die zur Pflegedienstleitung. Dann folgt der Hammer. Die junge Kollegin ist grade einmal 4 Wochen dabei. Aber wer denkt, okay mach mal weiter und dann wirst sehen, guckt wenige Sekunden später dumm aus der Wäsche. Eine weitere Kollegin wird gefragt, vorgestellt als
Pflegefachkraft. Sie bestätigt brav das Bild der jungen aufstrebenden Kollegin als richtig, viele
Fortbildungsmöglichkeiten, da könnten die Kollegen in ungeahnte Höhen aufsteigen. Geiler Beruf also.

Jetzt frage ich mich: Was für einen Notstand haben wir denn aktuell in der Pflege? PDL Notstand oder Pflegenotstand?

Von der erfahrenen Kollegin wird also gesagt, in der Pflege geht die Karriere steil nach oben.
Dumm nur wer es glaubt! Wo sollen die ganzen Leitungstellen denn herkommen? Sie selbst, so stellte sich dar, wird ihre PDL Stelle so schnell sicher nicht räumen. Sie macht es ja auch schon 10 Jahre. Das Fortbildungsgefasel dient also lediglich dazu, jungen Schülerinnen und Schülern falsche Hoffnungen zu machen und ist völlig realitätsfremd. Uns fehlen Indianer, keine Häuptlinge!
Aber da wären ja auch noch die Fachweiterbildungen und Zusatzqualifizierungen. Toll, da lernt man wirklich viel. Und GÄBE es irgendwelche Vorschriften wie „Auf einer Intensivstation darf nur Fachpersonal für Anästhesie- und Intensivpflege arbeiten“ oder „Auf einer Demenzstation müssen
mindestens XY Fachkräfte für Demenzpatienten anwesend sein“ dann ja dann WÜRDE das alles einen Sinn machen. Gibt es aber nicht. Fortbildungen sind Luxus. Den Arbeitgeber interessiert das lediglich an den Stellen, wo er Fachpersonal vorhalten muss. Was bedeutet: Klar kannst Du Dich fortbilden, allerdings nur, wenn dein Arbeitgeber zufällig Lust dazu hat, das viele Geld dafür auszugeben oder Du eben selbst bezahlst. Ach ja, und nach erfolgreicher Fortbildung, machst Du natürlich wieder den gleichen Job wie vorher und wie alle anderen auch zu den gleichen miesen Bedingungen. Mit etwas Glück für ein paar Euro mehr, wobei allerdings dann auch das Ende der Karriereleiter erreicht wäre. Das wird leider auch die junge, aufstrebende Kollegin bald feststellen müssen. Wie auch einige andere Sachen, die ich noch beleuchten will. Sie wird merken, dass 20 andere Kolleginnen exakt den gleichen Plan im Kopf haben: „WEG VOM BETT“ Weil jedem schnell klar wird, dass diese Schlagzahl einfach nicht lange durchzuhalten ist und schon gar nicht bis ins Rentenalter. Was daraus folgt ist oft eine interessante Wendung. Junge Kollegin gibt Gas. Und zwar richtig! Sie ist fleißig, übernimmt Schichten, springt ein, gibt 105%. Jeden Tag. Dumm nur, das machen die 20 anderen
auch. Erfolg der Geschichte, Null!
Naja gut, einer hat Erfolg, der Betrieb nämlich. Menschen, die nach Einspringen betteln, jede auch noch so Arbeitszeit Gesetz verletzende Schicht machen sind ihm nur recht. Warum auch nicht? Wie haben wir jüngst aus dem Fall aus Frankfurt gelernt, bei Netto 12 Cent Strafe pro Verstoß ist das Risiko ja überschaubar.
Unsere dann nicht mehr ganz so junge Kollegin wird irgendwann merken, nach oben geht es nicht, also ist überleben angesagt. Familie war doch eigentlich auch geplant, aber wie? Kitas die um 5 aufmachen, bis 23 Uhr geöffnet haben oder gar nachts Kinder beaufsichtigen? Fehlanzeige! Aber da können wir in unserem verantwortungsvollen Beruf ja unser üppiges Gehalt für Tagesmütter
ausgeben. Diese warten nur darauf, dass sie spontan Samstag Abend angerufen werden weil man einspringen muss...
Es folgt, was leider sehr sehr sehr oft folgt: Der Abschied vom Bett, final.
Raus aus der Pflege.
Was hat das jetzt mit meiner Ausgangsfrage zu tun? Alles! In einem Beruf, in dem der Durchschnitt 6 Jahre durchhält, hat man keinen Fachkräftemangel, sondern ein Abnutzungsproblem.
Was sollte also einen Zuwanderer mit guter Bildung, möglicherweise sogar mit Hochschulabschluß dazu bringen für 1500 Euro Netto in einem Altenheim bei uns zu arbeiten? Genau, einzig und allein finanzielle Not!
Das ist der Grund warum es nur über Zuwanderung klappt, in einer völlig von Rationalisierungzerfressenen Branche mit kargen Löhnen, wird man keine hochmotivierten Leute mehr nach Deutschland ziehen. Und es dann bei ärmeren zu Versuchen weil mir die eigenen Leute auch noch desertieren, ist gelinde gesagt eine skrupellose Nummer. Keiner hat die Eier zu sagen, dass dieses  System gestern noch am Abgrund stand aber heute schon einen Schritt weiter ist. Das Setzen auf Zuwanderung ist nicht der Fallschirm sondern erhöht nur die Fallhöhe!
Genau wie unsere Kollegen hier werden diese Zuwanderer erkennen, das das System stinkt! Und sie werden gehen, noch schneller noch kompromissloser als wir, denn sie haben es schon einmal getan. Diese Leute haben auf der Suche nach guter Arbeit ihr Land verlassen, was sollte sie gerade in unserem halten? Wer meint, man könnte das System so retten, hat für die Realität keinen Sinn mehr.
Das ist Flickschusterei! Im übrigen denke ich, dass eine Gesellschaft die versucht, ihre offensichtlichen Probleme in der Zukunft zu verharmlosen, auch kein besonders attraktiver Ort für Zuwanderer ist. Wir verlieren Tag für Tag gute Kollegen, die sich aus dem Gesundheitssystem verabschieden und anstatt, dass dieses
Problem gelöst wird, hofft man, in dem man andere Länder ihrer Pflegekräfte beraubt, das Niveau zu halten. Logisch, jetzt ist es nicht mehr zu schaffen ohne Zuwanderer. Aber nur wenn wir weitermachen wie bisher. Hier sollte der Gedanke der Nachhaltigkeit mal Einzug finden. Ein System, was ständig neue Leute ausbilden muss weil andere flüchten kann nur teuer werden und wer meint, das könne man umgehen, in dem man eine Abkürzung nimmt, der wird scheitern.

Zuwanderung ist sicher auch notwendig, aber die alleinige Lösung ist sie keinesfalls.
Die Lösung, das verspreche ich, wird kommen und sie wird Geld kosten, viel Geld. Jeden Tag, denwir abwarten anstatt zu handeln wird es teurer machen. Mit der Generation 50+ werden Märkte für Pflegekräfte außerhalb des Systems entstehen, denke ich. Viele der Babyboomer haben Vermögen,wenige Kinder, die es übernehmen könnten, und wollen bestimmt nicht im Akkord gepflegt werden.
Wenn das passiert gibt es einen freien Wettbewerb um Pflegekräfte spätestens dann ist das heutigeSystem tot! Nachsehen hat dann, wer kein Geld hat, dem bleibt nur zu hoffen.

Euer
Garcon de Piss

Mindsets: Meine Eltern werden pflegebedürftig, was nun? Die Sicht der Angehörigen

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