Mittwoch, 9. September 2015

Die Fachleutefalle


Pflege liegt am Boden, sagt sie.

Warum interressiert es aber niemanden?



Eigentlich ist ja allen bekannt, was zur Zeit in Deutschlands Pflegelandschaft passiert.
Fachgremien, Politiker eigentlich wissen ja alle Bescheid.
Aber ist das so, oder glauben wir nur, dass es so ist?
Es werden Konzepte für eine Pflegelandschaft der Zukunft erstellt. Dort sollen Aus- und Fortbildung geregelt und Wohn- bzw Teilhabekonzepte entwickelt.
Zum grössten Teil auf sehr hohem fachlichem Niveau.

Warum ist es aber so, dass kaum etwas davon bekannt ist?
Weil es die Betroffenen nicht interessiert, weder die Pflegenden, noch die zu Pflegenden und die Menschen, die erst in Zukunft zu pflegen sind schonmal gar nicht.

Ich würde dieses Phänomen eine Fachleutefalle nennen.
Die Diskussion um die Zukunft der Pflege blendet nämlich eine Sache vollständig aus.
Das hier und jetzt. Die jetzige Situation ist nicht der Ausgangspunkt der Überlegungen.
Die Pflegenden leiden jetzt akut unter der Situation, aber das ist nur periphär Teil der Betrachtung.
Konzepte wie Pflege in Zukunft gestaltet werden soll beinhalten nur den Zielpunkt.
Ebenso verhält es sich bei den zukünftig Betroffenen, sie bekommen nur die Ziele kommuniziert, die ja gar nicht so schlecht klingen.
Die Fachleute sind sich einig wo die Reise hingehen soll, soweit so gut.
Die vergessene Dimension ist aber, wie kommen wir dahin?
Wie wollen wir uns dahin entwickeln?
Was nützt eine Akademisierung zur Verbesserung der Patientenversorgung, wenn niemand den Job machen will?
Was nützt eine Generalisierung der Ausbildung, die ermöglicht in allen Bereichen der Pflege zu arbeiten, wenn bestimmte Bereiche der Pflege die Kollegen zum Weglaufen bringt?
Fachleutefalle eben!

Das Ziel ist gut beschrieben, aber der Weg ist nicht klar.

Keiner kommt auf die Idee zu sagen: „Wir brauchen jetzt eine Offensive pro Pflegeberufe und das kostet Geld, unser aller Geld!“
Keiner spricht aus, was alle Pflegenden jetzt schon wissen. Alle Fachlichkeit ist ohne Zeit zur Durchführung sinnlos! Dafür braucht es aber mehr Kollegen, die jedoch werden nur kommen wenn die Bezahlung attraktiver wird. Es sollte zumindest in dem Bereich bezahlt werden, in dem der duchschnittliche Facharbeiter in Deutschland liegt, sonst kann ich kaum gute Leute in die Pflegeberufe bringen.
Die andere Seite der Medallie ist, dass die meisten gar nicht wissen, was Pflege als Beruf eigentlich macht. Dass wir nicht dazu da sind, ausschließlich das Wohlbefinden der Menschen zu fördern, dass wir nicht nur Kaffee bringen und Betten machen, das weiß kaum jemand.
Warum nicht?
Es weiß kaum jemand, weil wir es ja tun. Betten machen, Kaffee bringen, Schränkchen putzen etc. Wenn Pflegende den ganzen Tag Dinge tun, die eigentlich von Hilfskräften erledigt werden könnten, dann müssen wir uns nicht wundern wenn wir auch wie Hilfarbeiter wahr genommen werden.
Jetzt werden viele sagen: Aber wir wissen doch, was die Aufgaben der Pflege sind.
Klar wissen wir das, wir sind ja Fachleute!
Und da schnappt die Falle wieder zu. Alles Wissen ist nutzlos, wenn die Wahrnehmung durch andere nicht dem entspricht und ohnehin die Zeit fehlt fachlich gut zu pflegen.

Wir müssen raus aus dieser Falle, wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen, nicht nur mit anderen Fachleuten. Ja, das heißt auch, dass wir eine Menge aushalten müssen weil unsere Selbstwahrnehmung nicht der Wahrnehmung der durchschnittlichen Bevölkerung entspricht.
Das müssen wir aushalten. Wir müssen aufhören unter uns zu jammern, dass niemand versteht was wir eigentlich tun!

Sonst werden wir irgendwann zu dem für das man uns hält, Hilfskräfte ohne Einfluss.



Euer
Garcon de Piss

Freitag, 4. September 2015

#Pflegestreik vorm Landtag in NRW

 Pflegestreik geht auf die Straße... 

... und guckt dumm aus der Wäsche!

Gestern war es also soweit,


Der Hashtag Pflegestreik geht auf die Straße.
Das Erlebte von Gestern ist etwas, was ich hier mal reflektieren will, aber zuerst mein Dank an die Leute von Pflege am Boden, die uns bei ihrer Demo so herzlich aufgenommen haben und mitmachen ließen.

Der Ablauf des ganzen ist eigentlich schnell erklärt. Die Kollegen von Pflege am Boden haben routiniert (sie haben ja auch Erfahrung) alles aufgebaut. Wir wurden freundlich begrüßt, und dann ging es auch schon los. Die ersten Politiker erbarmten sich unser und richteten ein paar Worte an die Pflegenden und ließen das Auditorium Fragen stellen. Das klingt zunächst einmal ganz gut. Dass die Politik sich zu einem relativ kleinen Haufen Pflegeaktivisten gesellt hat, ist ja ein positives Zeichen.

Allerdings gibt es für mich bei der Sache genug Gründe zur Selbstkritik.

Am meisten habe ich mich zunächst mal über mich selbst aufgeregt. Denn wenn einem die besten Ideen, was man speziell zu unserer Gesundheitsministerin hätte sagen sollen, erst auf dem Heimweg kommen, war man offensichtlich nicht ausreichend vorbereitet.
Das wurmt mich. Zumal ich die Aussage von Frau Steffens (sinngemäß verkürzt): "Ich kann da leider nichts für Sie tun, dafür ist der Bund zuständig!" schockierend fand. Wie bitte? Sie kann nichts für tun? Betroffenes Gesicht und Ende? Diese Frau ist GESUNDHEITSMINISTERIN des Landes NRW. Leider kann sie aber nichts tun. Ich stelle mir das gerade anders herum vor.

"Es sind schon wieder 2 Kollegen krank geworden. Kannst Du bitte morgen kommen, sonst müssen wir die Station schließen."

"Ich habe frei. Leider kann ich da gar nichts für sie tun."

"Frau Schmidt ist aus dem Bett gefallen. Ich bin doch allein im Spätdienst. Hilfst Du mir bitte noch schnell, sie wieder ins Bett zu bringen?"

"Dass tut mir leid für Frau Schmidt. Eine schlimme Situation. Allerdings ist es bereits 14:12 Uhr und mein Frühdienst beendet. Leider kann ich gar nichts dagegen tun. Das mit dem Pflegeschlüssel muss der Herr Gröhe regeln, sorry!"

Das erste was ich dachte: Dann gibts wohl eine Planstelle zuviel in der NRW Regierung. Sie wollen keine Verantwortung, was zur Hölle tun sie dann hier?
Hab ich aber nicht gesagt, denn konstruktiv geht irgenwie anders.
Trozdem hat die Aussage mich gewurmt, den ganzen Tag. Ich fühlte mich verarscht.
Wie kann man sich hinstellen und als Ministerin sagen: "Da sind mir die Hände gebunden."
Auf dem Heimweg kam mir dann was man hätte sagen können,.... ja Schlagfertigkeit geht anders.
Der Punkt ist auch, dass ich vorher nicht wusste, wie genau der Hase läuft bzw wer mit wem und warum spricht. Eine Sache hätten wir der guten Frau Steffens mit auf den Weg geben sollen.
"Wenn Sie doch der Überzeugung sind, dass etwas passieren muss und Sie unsere Forderungen für so gerechtfertigt halten. Warum in drei Teufelsnamen bringen Sie es dann nicht wenigstens, wie viele andere grüne Themen, immer und immer wieder in die Öffentlichkeit? Warum machen Sie sich nicht zum Fürsprecher der Patienten und Pflegenden? Geld spielt doch, bei Themen die ihnen und ihrer Partei wichtig sind, nur eine untergeordnete Rolle. Sie sind es doch, die selbst gegen Widerstände versuchen diese Welt zu verändern. Warum nutzen Sie ihre Reichweite nicht um es zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema zu machen? Wenn nicht Sie, wer dann?"

Hab ich aber nicht gesagt. Warum, weiß ich nicht.....Nur dass es mich jetzt noch ärgert.

Was ich mich ebenfalls gefragt habe, für wen sprechen wir er eigentlich?
Ein Kollege von Pflege am Boden sagte, der Vorteil von Pflege am Boden sei, dass es keine Gewerkschaft sei.
Das ist aber auch ein Nachteil. Warum? Das ist eigentlich ganz einfach. Die Mensche, die zur Zeit für die Pflege auf die Straße gehen, tun dies ohne eine Legitimaion für die Pflege sprechen zu dürfen.
Versteht mich nicht falsch Kollegen, aber im Zweifelsfall könnte man uns als einen Haufen selbsternannter Weltverbesserer sehen, denen man gar nicht zuhören muss.
Ich denke nicht, dass wir das sind. Wir müssen uns aber fragen warum kommen so wenige Kollegen, warum steht die Masse der Pflegenden zwar hinter uns, aber nicht auf?
Oder steht sie vielleicht gar nicht hinter uns?
Sollten wir da nicht mal Stimmen sammeln? Sollten wir nicht mal fragen, warum so wenige für unseren Beruf auch kämpfen? Das wäre mal eine Standortbestimmung.
Aus so einem Ergebnis könnte man Schlüsse ziehen, aber wie kommen wir dran, wir sind ja keine Gewerkschaft....

Noch eine persöhnliche Nachbemerkung zum obigen Absatz. Ich glaube die Kollegen kommen nicht aus einer Mischung aus Angst vor Repressalien, subjektivem Zeitmangel und dem diffusen Gefühl, dass es wahrscheinlich kein messbares Ergebnis hat. Was meiner Meinung nach eine Folge der Arbeit in der Pflege ist.


Ausserdem habe ich mich noch Folgendes gefragt. Welche Stelle weisen wir uns zu in dieser Auseinandersetzung?

Dafür muss ich ein wenig ausholen:

Was natürlich schön war an dem Tag war Pflegekräfte zu treffen, die ähnlicher Meinung sind wie man selbst und wo es weniger Worte bedarf um Probleme zu thematisieren.
Klingt erstmal gut, aber da liegt eines der Hauptprobleme der Pflege.
Wir sind, im übrigen ähnlich wie Ärzte, in unserem Beruf und unserer Sprache bereits sehr weit weg von dem was die Bevölkerung ohne zusätsliche "Übersetzung" versteht.
Wir versuchen aber dem Adressaten, also der Bevölkerung, unserer Forderung klar zu machen, weil sie uns ja brauchen. Die werden uns aber nicht verstehen! Wir glauben es wäre irgendwie jedem völlig klar was wir tun, ist es aber nicht. Selbst Patienten im Krankenhaus sehen oft nur den letzten Schritt unserer Arbeit. Was an Planung, Übersicht und notwendigem Fachwissen dahinter steckt, das bleibt verborgen und wird, wenn überhaupt, nur der Medizin zugerechnet.
Wie wollen wir in diesem Dunkelfeld von Informationsdefizit, den Menschen erkären: "Helft uns damit wir euch helfen können?"
Die meisten sagen: Ich helfe mir selbst und wenn das nicht geht, geh ich zum Arzt. Warum helft ihr euch nicht auch selbst, oder macht was anderes?
Unsere Rolle im Gesundheitswesen ist für viele einfach umschrieben, die tun was der Arzt sagt, und was wir verlangen. Wir versuchen uns natürlich, wie es die Krankenpflege gewohnt ist, zu erklären, die Patienten zu informieren und zu beraten.
Ich sehe darin ein Problem, weil es keinen mehr interessiert, wenn wir langatmig und langweilig daher kommen.Natürlich müssen wir zunächst haufenweise erklären bis wir zum Kern unseres Problems kommen. Da hat aber keiner Bock drauf. Ausserdem glaube ich, die Menschen wollen nicht belehrt werden.

Die Attitüde: "Ich erklär dir mal warum ich wichtig bin und du mir deshalb helfen musst" kommt nicht gut an!"

Möglicherweise ist der Transport unserer Anliegen nur durch eine radikalere, plakativere Sprache möglich. Vielleicht ist es notwendig, dass uns Leute wütend fragen, was glaubst du eigentlich wer du bist? Dann könnten wir erklären und sogar davon ausgehen, dass tatsächlich auch jemand zuhört.
Wir müssen mehr polarisieren, mehr schokieren, damit die Leute fragen: "Sagt mal, was macht ihr eigentlich den ganzen Tag?" Wir müssen den Leuten die Angst machen, die sie haben sollten!
Aber wir sind oft genug Sprachlos! (siehe hier)
Pflege ist nicht laut, sie ist geschickt und leise und setzt darauf, dass die Vernuft siegt.
Blödsinn, das wissen wir auch eigentlich.
Wir argumentieren, und da nehme ich mich bewusst nicht aus, mit unserem Wissen um die Strukturen!
Das versteht aber niemand und ich behaupte die Politik nimmt das dankend an.
 Denn, wenn wir nicht klar machen, dass Menschen in Leben und Gesundheit bedroht sind, weil die Politik nicht aus dem Knick kommt, wer soll es dann tun?
Wir müssen den Leuten nichts erklären sondern knallhart ins Gesicht schreien, dass sie verrotten werden wenn die Politik nicht handelt. Wir brauchen die Wut der Menschen auf dieses unmenschliche System.
Aber diese Wut können wir, so glaube ich, nicht durch Beratung erzeugen. Die Menschen in unserem Land müssen begreifen, dass dieses Thema Angst machen muss, weil es unabwendbar auf sie zukommt ohne wenn und aber ohne Ausweg wenn jetzt nichts passiert.
Lasst uns die Pflege selbst aus der Diskussion nehmen und das Opfer dieser Politik des Verdrängens in den Fokus stellen, den Mitbürger.
Wir müssen radikaler aufzeigen was die Folge des Nichthandelns der Politik sind, der totale Verlust von Würde im Alter und im Krankheitsfall.
Wir müssen es bewerkstelligen dieses Problem auf eine Stufe mit Altersarmut zu stellen.

Mein Fazit, wir müssen uns aus dem Fokus nehmen, denn wir können gehen, Patienten nicht. Wir müssen es nicht ausbaden, wenn wir nicht wollen.
Wir müssen nicht erklären warum die Pflege Hilfe braucht.
WIR brauchen keine Hilfe, WIR können entscheiden nicht zu Pflegen.
Wir müssen nur sagen: "Wenn ihr uns nicht braucht, seht zu wie ihr klar kommt!" Und bitte kein "Ich liebe meinen Job so sehr Gefasel" mehr. Denn genau darauf ruhen sich offensichtlich alle aus. Wer seinen Job liebt, der möchte ihn RICHTIG machen. Dazu wird es aber nie wieder kommen, solange alle meinen, dass eine Pflegekaft ihre Patienten und ihren Beruf mehr liebt als die eigene Familie und Gesundheit. Bitte hört auf diese Klischee zu bedienen!

Ihr denkt das ist zu hart? Guckt euren Kollegen nach 12 Tagen Dienst ins Gesicht, dann wisst ihr, die Menschen in diesem Land sollen dankbar sein, dass wir NOCH da sind. Das müssen wir und sie begreifen! 

"Gebt uns Gründe zu bleiben, sonst sind wir weg und ihr im Arsch!"


Euer

Garcon de Piss



Nachtrag: Wenn ihr was dazu zu sagen habt, tut es. Kommentiert was das Zeug hält. Kein zustimmendes Nicken, kein Nase rümpfen. Sagt, was ihr denkt, nur so kommen wir ins Gespräch!








Donnerstag, 27. August 2015

Pflegestreik und was nun?

Pflegegestreik und was nun?


Ich beteilige mich nun von Anfang an an der Mittwochsmahnwache unter dem Hashtag #pflegestreik. Deshalb versuche ich jetzt mal für mich Bilanz zu ziehen und zu analysieren, was da vorgeht.

Bei der Bilanz ist es recht einfach.
Das ganze bringt uns nicht weiter! Einige wenige „Externe“ beteiligen sich, aber mediale oder gar politische Resonanz geht gegen Null. #Pflegestreik ist als Thema nicht sexy, aber warum?
Betrifft Pflege nicht früher oder später jeden?
Ich denke schon!

Am Anfang dachte ich es liegt daran, dass das Thema irgendwie schlecht ankommt weil man zugeben müsse, dass man am falschen Ende gespart hat. Doch dann kam die aktuelle Meldung, dass die Krankenkassenbeiträge steigen sollen. Kein Aufschrei. Kein großes Gezeter.
Das ließ mich verwundert zurück. Es ist also offensichtlich, dass Gesundheit den Menschen in diesem Lande doch etwas wert ist.
Da bleibt ja nur der Schluß: Nur Pflege ist nichts wert.

Das ganze irritiert mich.
Aber wenn man genau hinschaut merkt man plötzlich warum. Dafür muss man alerdings genau hinschauen.
Ein Beispiel kam aus dem WDR. Es ging darum weniger gebildete Menschen, in diesem Falle Zuwanderer in Pflegeberufe zu bringen.
Jo, so hab ich auch geguckt.
Aber als ich, sagen wir es freundlich, beim WDR rumgerantet habe, kam folgendes heraus:
Es waren Betreuungskräfte gemeint, nicht die Pflegefachkräfte.
Da wurde mir plötzlich einiges klar. Selbst gut gebildete Menschen haben keine Ahnung, dass Betreuung und Pflege zwei verschiedene paar Schuhe sind!
Wenn das aber schon bei Journalisten so ist, wie soll denn dann das Bild in der Öffentlichkeit sein?

Ich denke wir „Professionellen“ wissen es!

Pflege kann jeder, man muss sich nur überwinden.

Ja, ich glaube viele nehmen ernsthaft an, sie könnten jederzeit unseren Job machen wenn sie denn nur wollten. Schließlich muss man in der Pflege ja nur seinen Ekel vor Ausscheidungen und dergleichen ablegen und fertig.
Ich glaube, dass man uns für nette Hilfsarbeiter der Ärzte hält.
Deswegen nimmt uns keiner Ernst! Man glaubt es gibt genug arme Schlucker da draußen, die nur darauf warten unseren Job zu machen, weil es ja irgendwie jeder kann. Man glaubt, dass man im Notfall nur das Heer der Mütter und Bildungsverlierer in den Beruf drängen muss und schwupp läuft es wieder. Ob nun ein Baby wickeln oder die pflegbedürftige alte Dame, wo ist da der Unterschied? Da muss man doch nichts für gelernt haben.

Und genau das kotzt mich an! Und wie mich das ankotzt! Ich habe jeden Tag die Verantwortung, dass Menschen nicht vor ihrer Zeit abtreten müssen oder wenn es nicht mehr abwendbar ist, in Würde und schmerzfrei sterben können. Ich muss nachts mit Ärzten diskutieren, die genauso müde und scheiße drauf sind wie ich, weil sie auch am Anschlag arbeiten. Ständig muss ich wichtiges von unwichtigem trennen damit alles läuft, ja auch dann wenn ich „Kaffee saufe“. Ausserdem muss ich noch jede Menge berufsfremden Mist erledigen weil irgendwer irgendwann beschlossen hat, dass Hilfskräfte nur Geld kosten. Irgendwo zwischen Frühstück austeilen, Tischchen putzen und Exkremente entsorgen, sorge ich für Medikamente, Infusionen, Untersuchungstermine und dafür, dass die Patienten wenigstens das Gefühl haben ich wäre für sie da. Pflege ist viel mehr als Hintern wischen und Patienten betüddeln. Ich bin der, der dem Oberarzt kackendreist Desinfektionsmittel über seine Griffel schüttet damit die Keime im Nachbarbett bleiben. Aber dafür muss ich wissen was ich da tue und vor allem die Zeit dafür haben!!

Es kommt nicht primär auf Hände an! Pflege ist ein Ausbildungsberuf mit staatlichem Examen und klar geregelten Zugangsvoraussetzungen. Das müssen alle wissen. Jeder sollte sich im Klaren darüber sein, warum das so ist! Wir brauchen Hände, ja, aber mit hellen Köpfen.
Es wird Zeit die Menschen aufzuklären was Pflege bedeutet und uns von der ebenso wichtigen aber eben eine völlig andere Baustelle betreffenden Betreuung abzugrenzen. Das geht jedoch offensichtlich nur mit Medienpräsenz.
Wir als Berufsgruppe müssen aufhören am Boden zu liegen. Wir müssen laut, sichtbar und unüberhörbar werden! Der Patient Pflege muss mit einem Arschtritt mobilisiert werden. Das haben wir doch drauf werte Kolleginnen und Kollegen, oder?

Wir müssen auf die Straße, aber nicht vor Kliniken.
Wir müssen vor Landtage und den Bundestag. Die schüchterne, zurückhaltende Pflege muss ins Rampenlicht!
Nur dann können wir ausnutzen, was wir können weil wir es tagtäglich machen. Menschen erklären was los ist. Dann können wir erklären, was unsern Beruf ausmacht und warum es auf uns und unser Fachwissen ankommt.

Die Pflege muss zum gesunden Menschen kommen und nicht warten bis der kranke Mensch zur Pflege kommt!
Die meisten begreifen dann zwar schnell, aber zu spät.
Deshalb liebe Kolleginnen und Kollegen, steht auf seid laut! Es ist unser Beruf lasst ihn uns retten bevor alles den Bach runter geht!

Euer

Garcon de Piss

Sonntag, 12. Juli 2015

„Kontrolle nicht möglich mangels Personal“ oder auch Gedanken zu Pflegestreik

„Kontrolle nicht möglich mangels Personal“ oder auch Gedanken zu Pflegestreik


Wir müssen nicht einmal „richtig“ streiken. Es würde reichen, wenn wir aufhören dieses kranke System weiter mit vollem Einsatz zu unterstützen, um allen zu zeigen, dass eigentlich jetzt schon nichts mehr geht.“ So ähnlich schrieb ich ein paar meiner zahlreichen Tweets zum Pflegestreik. Prompt kamen die Antworten: „Warum tut ihr es dann weiterhin?“

Ja meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Frage möchte ich gern weiter geben. Warum tun wir das?

Ehrlich gesagt, so richtig verstehen tue ich das nämlich auch nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich aus einem ganz anderen Bereich in die Pflege gewechselt bin und dort meinen kleinen „Papierstreik“ bereits hinter mir hatte. Zur Erklärung:

Bevor ich auf die geniale Idee kam, meine Ausbildung in einem Beruf zu machen, der ganz viel Anerkennung mündlich wie schriftlich mit sich bringt, nur leider genau gar keine im beruflichen Alltag oder gar auf dem Girokonto, war es meine Aufgabe, dass wichtige Dinge pünktlich am richtigen Ort sind. Diese wichtige Dingen konnten alles sein. Von Werkzeugersatzteilen über Toilettenpapier bis hin zu Dienstwagen und Lkw Ladungen voller Plastikprömpel, die in irgendwelche Aschenbecher für Autos eingebaut werden.
Ich arbeitete nämlich im Einkauf eines Automobilzulieferers. Ist auch nicht weiter wichtig, denn diese Job hatte ich prima im Griff und da ich in einer Zweigstelle eingesetzt war, hatte ich sogar den Luxus, mein eigener Chef zu sein ohne die anderen, natürlich noch viel wichtigere Dinge bestellenden, Einkäufer im Nacken zu haben.

(Könnt ihr mal sehen, was andere Leute teilweise beruflich so für Sorgen haben. „Also, die Teile, die ich bestelle, sind aber viel teurer als Deine. Ich bin hier dass Rennpferd.“ Glückwunsch dazu.)

Es begab sich jedoch, dass sich an einer ganz andere Ecke des Betriebes ein Loch auftat. Nämlich im Wareneingang. Dort waren normalerweise mehrere Gabelstaplerfahrer, 2 Lageristen, 2 Mitarbeiter der Qualitätssicherung und der Lagerchef zugange. Die Gabelstaplerfahrer hatten sich jedoch entschlossen, gleich mal alle gleichzeitig zu kündigen, ebenso ein Lagerist. Nun, da ich meine Baustelle im Griff hatte und meine Überstunden auf dem Zeitkonto brav in Form von verlängerten Wochenenden abgebaut hatte, wurde ich gebeten dem Lagerchef doch „etwas Tipperei“ am PC abzunehmen. Bestände ein- und aus pflegen eben, dachte ich, also kein Problem. Der arme Kerl hasste eh die PC Arbeit, die mit seinem 2 Fingersuchsystem auch noch ewig lang dauerte. Nun komme ich mittags, nachdem ich meinen eigenen Schreibtisch im Akkord abgearbeitet hatte, rüber und erlebe folgendes:
Der Chef des Wareneingangs sitzt auf dem Stapler und lädt Lkws ab, packt die Kisten und Paletten irgendwo hin und drückt mir die Lieferscheine und zwei Stempel in die Hand. Einmal „Ware erhalten“ und der zweite „Stückzahl und Qualität kontrolliert“. Ich sollte das bitte stempeln und unterschreiben, er mache das normalerweise nach Kontrolle aber dafür hätte ja aktuell keiner Zeit. Es ständen noch 4 Lkws mit äußerst schlecht gelaunten Fahrern auf dem Hof, er wüsste gar nicht wie er das schaffen soll. „Und die Bestände?“ fragte ich daraufhin. Die seinen völlig egal, den Computerscheiß schaffe er eh seit Tagen nicht, da stimme sowieso nix mehr im System.

(Fein, dachte ich. Wenn die Bestände nicht stimmen, dann wird es auch schwierig, meinen Job vernünftig zu machen. Denn was soll ich in welchen Mengen nachbestellen, wenn ich gar nicht weiß, ob und wenn ja, wieviel davon im Haus ist? Egal, da muss ich mich dann wohl später drum kümmern.)

„Und was ist mit den beiden Herren von der Qualitätssicherung?“ Die machen irgendwas anderes mit den fertig gebauten Teilen von oben. Die helfen nie im Wareneingang. Hätten nur ihr Büro hier unten.

So liebe Kollegen aus der Pflege, das kommt Euch doch jetzt sicher bekannt vor. Arbeit, die nicht zu schaffen ist. Ausgebildete Fachkräfte, die Helfertätigkeiten durchführen und daher zu ihrer eigentlichen Arbeit nicht mehr kommen, dies jedoch unterzeichnen sollen. Und weitere „noch besser“ ausgebildete Fachkräfte, die lediglich auf dem Papier dazu gehören, sich aber überhaupt nicht dazu berufen fühlen, auch nur irgendwas zu tun. Fast wie auf Station, nur ohne Patienten, oder? Nun komme ich, in meinem jugendlichen Leichtsinn und mache folgendes: Ich latsche zurück zu meinem Schreibtisch, hole meinen einstellbaren Stempel und drehe mir ein nettes „Kontrolle nicht möglich mangels Personal“ zurecht. Da war der Lagerchef aber plötzlich ganz aufgeregt. „Das könne ich doch nicht machen, das ginge bestimmt bis ganz oben.“ „Ja, das ist der Sinn der Sache. Die müssen nämlich wissen, was hier los ist, sonst ändert sich nichts. Außerdem unterschreibe ich ganz sicher nicht für ganze Lkw Ladungen, deren Inhalt ich nie gesehen habe, dass es sich um einwandfreie Ware im Wert von 125000 € handelt. Ganz sicher nicht.“

Um es kurz zu machen: Mein Stempel kam auf die Scheine. Und mit ihm kamen die Damen und Herren aus der Teppichabteilung. Zuerst ging ich selbst zum Betriebsleiter rüber (ein wirklich netter Kerl) der umgehend 2 Leiharbeiter mit Gabelstaplerschein organisierte, die schon am nächsten Morgen ihre Arbeit aufnahmen. Dann kam mich der Chef des Einkaufs besuchen. Durch die Blume gratulierte er mir zu meinen „Eiern“ als popelige Bürohilfe so eine Welle zu reißen. Also quasi mal eben der Personalabteilung per Stempel zu erklären, dass sie es verkackt hat.
Daran hatte ich bis dahin überhaupt keinen Gedanken verschwendet. Ups!
Zum Schluss kam dann auch noch die Betriebsratsvorsitzende, die meinte, ich solle umgehend in die Gewerkschaft eintreten, wenigstens aber beim nächsten Mal zur Wahl des Betriebsrats antreten. Ich, die 19 jährige Bürohilfe, mit dem komischen Stempel? So ganz verstand ich das Theater damals nicht. Ist auch egal, denn es kam sowieso alles anders. Die Firma gibt es mittlerweile nicht mehr, und ich wollte auch auf etwas ganz anderes hinaus.
Ich habe bis heute noch nie unter irgendetwas meinen Namen gesetzt, wenn ich es nicht selbst erledigt oder mindestens persönlich kontrolliert habe. Für mich bedeutet mein Handzeichen nicht „Guck mal, ich war auch im Dienst.“ sondern „Hierfür trage ich die Verantwortung.“ Und noch mehr Angst, als damals die Verantwortung für eine 125000€ teure Lkw Ladung, die theoretisch ein paar Paletten Papiermüll hätten sein können, zu übernehmen, habe ich heute, dafür zu unterschreiben, dass es einem Patienten gut geht, er jegliche notwendige Unterstützung von mir erhalten hat und ich dafür quasi bürge. Erst recht, wenn ich auch noch ganz genau weiß, dass dem definitiv nicht so ist.
Ich hatte es bislang natürlich auch sehr einfach, dieses Prinzip konsequent durchzuhalten. Während meiner Ausbildung durfte ich ohnehin nur selten selbst dokumentieren (sitzende Tätigkeit, das lassen sich einige Schwestern nur sehr ungern abnehmen, wo doch alles andere schon nur Rennerei und Hetze ist) Und danach bin ich direkt in die Notaufnahme. Dort ist natürlich klar: Wenn ich dokumentiere „EKG gelaufen“ dann, weil ich den Ausdruck bereits in der Hand halte. Alles andere wäre einfach nur bescheuert.

Nichts desto trotz will einfach nicht in meinen Kopf, warum ALLE meine Kollegen, die ich kennen, so „locker“ mit ihren Handzeichen sind. (Entspannt Euch, liebe Kollegen, ich erkläre gleich, was ich mit locker meine.)
Sorry, aber es tut mir körperlich weh Lagerungspläne, Verzeihung „Mobilisationspläne“, zu lesen, auf denen 18 Patienten um 16 Uhr auf links gelagert wurden. Von 2 Pflegekräften. WAS SOLL SO EIN SCHEISS??! Natürlich haben die 2 Kollegen die sogenannte Lagerungsrunde gemacht und natürlich sind auch alle Patienten bewegt worden aber ganz sicher nicht alle um 16 Uhr.
Warum schreiben wir dann so etwas? Warum dokumentieren wir „aktivierende Ganzkörperwaschungen“ mit drölfzig Prophylaxen bei 16 Patienten, zu dritt zwischen 7:00 und 8:30 Uhr. WARUM? WER SOLL DAS GLAUBEN?

Liebe fachfremden Leser, bitte versteht mich an dieser Stelle nicht falsch. Wir sitzen nicht alle sorglos im Dienstzimmer herum und lassen „locker“ ein paar Handzeichen über die Seiten fliegen, Hauptsache die Dokumentation ist hübsch, scheiß auf den Patienten. Im Gegenteil! Viele meiner Kollegen tun alles in ihrer Macht stehende um jedem Patienten zumindest das Notwendigste an Pflege zukommen zu lassen und verachten nahezu die ganze Schreiberei, für die so wertvolle Zeit verloren geht. Ein Großteil der Pflegerinnen und Pfleger aus meinem Umfeld, würde nicht einmal die Kühlschrank Temperatur als ok abhaken ohne auch wirklich nachgesehen zu haben. Und erst recht nicht einem pflegebedürftigem Patienten einen intakten Hautzustand attestieren, ohne jeden Zentimeter auch wirklich inspiziert zu haben. Das meine ich nicht, wenn ich von „locker“ spreche.

Es geht mir um die Dinge, die wir nach täglichen Abwägen der Prioritäten weglassen MÜSSEN, weil einfach keine Zeit dafür da ist. Der Patient, den ich aus Zeitgründen nicht ins Bad sondern lediglich an die Bettkannte mobilisieren konnte. Bei dem Pneumonie Prophylaxe darin bestand, bei geöffnetem Fenster ein paar mal tief durchzuatmen um die frische Luft zu genießen und sonst nix. Den ich nicht mal aus seinem Schlafanzug geholt habe, weil es ihm zum Glück eh wurscht ist, ob er im Schlaf- oder Jogginganzug an seiner Bettkante sitzt um auf das Frühstück zu warten. Ich kann das durchaus verantworten. Natürlich fallen mir mindestens noch 30 Dinge ein, die ich aus pflegerischer Sicht zur Gesundung des Patienten beitragen könnte. Dummerweise warten aber noch 8 andere Patienten, deren Blutdrücke ich noch nicht kenne, die womöglich Schmerzen haben, dringend zur Toilette begleitet werden müssen oder gar im sterben liegen. Also entscheide ich: „Diesem Patienten geht es jetzt gut genug, Mindestmaß erfüllt, weiter geht`s.“
Wie gesagt, das kann ich gerade noch verantworten. Warum aber (und jetzt bitte ich meine Kollegen hier ernsthaft um Antworten, weil ich den Stationsalltag wirklich nur aus Schülersicht kenne) dokumentiere ich danach dieses „Wunderland“?
Mobilisation in Nasszelle, Teilkörperwäsche, Mundpflege, alle relevanten Prophylaxen, bla blub trallala... WAS SOLL DAS?

Schreiben wir es doch einfach mal so wie es ist.

„Gesicht gewaschen, Zähne raus, geputzt wieder rein, Katheterpflege, zum Frühstück in Rollstuhl mobilisiert, mehr war nicht drin.“

oder

Blutdruck, Puls, Temperatur im grünen Bereich, Patient bemerkt den Stress der Pflegekraft und verzichtet auf Hilfe bei der Körperpflege mit den Worten „Bekomme heute eh keinen Besuch, reicht wenn ihr mir morgen ins Bad helft. Zu Hause gehe ich auch nicht jeden Tag duschen, erst recht nicht wenn ich krank bin.“

oder

Vitalzeichen o.B. Wegen eines Notfalls in Zimmer 146 Patient erst nach dem Frühstück wieder angetroffen. Herr M. musste daher in Schutzhose abführen, ist seitdem verständlicherweise sehr schlecht gelaunt und verweigert nun weitere Unterstützung zur Körperpflege und sämtliche Prophylaxen.

oder

Patientin musste aufgrund der Unterbesetzung von Praktikantin bei der Körperpflege unterstützt werden. Frau S. fühlt sich gut versorgt, ob Pflegehandlungen nach Standard und fachlich korrekt durchgeführt wurden, kann nicht beurteilt werden.

Versteht Ihr was ich meine? Ich denke schon.

Mit Hilfe des #Pflegestreik wollen wir unsere aktuelle Situation deutlich machen. „Leute, es geht so nicht weiter! Ihr sterbt womöglich, obwohl wir uns für Euch krank schuften!“ in die Welt schreien. Änderungen müssen her! Ein verbindlicher Personalschlüssel muss her! Und bei aller Liebe, wenn wir genug junge Menschen dazu bewegen wollen, eine Beruf in der Pflege zu ergreifen, wird auch mehr Kohle dafür auf den Tisch kommen müssen. Das sollten wir den Menschen auch genau so sagen. Und ich finde, wir sollten dann auch aufhören, uns selbst zu belügen, indem wir Dinge schön schreiben, die nicht schön sind. Wozu auch? Für die Stationsleitung, die PDL, das Krankenhaus, den MDK, die Politik? Für wen? Alle, die damit zu tun haben, wissen, dass wir unmögliches möglich machen sollen. Warum also weiter lügen? Warum hinter 34 Pflegehandlungen auf einer Liste mein Handzeichen machen, um Geld von der Krankenkasse zu bekommen, das nur für 6 davon reicht? Warum so tun, als würde diese System auch nur annähernd funktionieren?

Wir sind das schwächste Glied in dieser Kette, sollen aber den Kopf hinhalten. Wenn irgendwas schief geht, ist schnell ein Schuldiger gefunden. Die Pflege, wer sonst? Warum also sollten wir weiterhin für die 125000€ Lkw Ladung, ähm Verzeihung, für die angebliche Gesundheit des Patienten verantwortlich zeichnen?

Warum nicht einfach ein „Kontrolle nicht möglich, mangels Personal“ Stempel?

Eure @emergencymum



Ich würde mich diesmal echt riesig darüber freuen, auch mal Antworten von Euch zu erhalten. Ob Zustimmung oder „Wie soll das denn bitte gehen?“ haut alles raus, was Euch in den Sinn kommt. Ich kann das ab. :) Danke schon mal im Voraus!

Freitag, 10. Juli 2015

Pflege Heute,... und Morgen

Wo geht sie hin, die Pflege?


Ich sage es mal frei raus wie ich es sehe:

So, wie wir sie kennen, geht sie den Bach runter!


Gut ihr könnt mich jetzt einen Pessimisten nennen, aber ich sehe kaum eine Möglichkeit die Situation zu verbessern. Natürlich bin ich schwer begeistert, dass die Pflege jetzt mittwochs Twitter mit dem #Pflegestreik unsicher macht. Allerdings sehe ich auch, dass das mediale und politische Echo nahe Null ist.
Gut, man kann jetzt fragen, ob es niemanden interessiert? Ich sage, die Frage ist so delikat, dass man die Antworten nicht verkaufen kann.

Die Frage, die von den Pflegenden in den Raum gestellt wird ist: Was empfindet ihr als würdige Pflege? Wir leiten daraus einen Personalschlüssel ab in dem professionelle Pflege menschenwürdig leistbar erscheint.

Das ist eine berechtigte Frage!
Ich aber lege mal einen drauf: Ist diese Art von Pflege überhaupt in mittelfristiger Zukunft bezahlbar oder leistbar?

Jetzt müssen sicher einige schlucken, ein Pfleger der die Pflege in Zweifel zieht?
Ja, wir müssen uns auch mal mit den Tatsachen befassen.

Halten wir uns mal an die Fakten:
Die Pflege leidet unter ständiger Unterbesetzung, das macht die Pflegenden kaputt und gefährdet Patienten. Ständiges Einspringen führt zu Konflikten im Privatleben.

Das sind grob die Kernaussagen, die man aus den Tweets zu #Pflegestreik destillieren kann.
Die Beispiel sind zwar konkreter aber ich denke mit dieser Näherung können wir arbeiten.
Was hat das mit der Frage der medialen und politischen Rezeption zu tun?
Ich glaube, das hat was mit dem Konzept zu tun, dass man sich anbahnende Katastrophen als lösbar darstellen muss, um es in den Medien zu verkaufen. Angst vor der Katastrophe soll gezielte Handlungen auslösen. Das verkauft sich prima.

Ich behaupte, das was wir jetzt vor uns haben ist eine nahezu ausweglose Situation!

Punkt 1 dazu ist:
Wir brauchen jetzt akut neue Kollegen. Ein Wunsch dessen Erfüllung im jetzigen System unerreichbar erscheint. Denn: Wir bekommen nur neue Leute in die Pflege wenn zumindest das Gehalt attraktiver wird. Das scheint aber zur Zeit aussichtslos. Dieser logische Schluss ist eigentlich allen klar. Man bekommt für diese Löhne niemanden in die Pflege zurück und Neuanfänger werden auch nicht in Scharen strömen. Ich behaupte die Arbeitsbedingungen sind abhängig von der Lohnstruktur.
Jetzt könnte man sagen, dann müssen die Klinikbetreiber mal ne Schüppe drauflegen. Das könnten manche vielleicht, andere, die rote Zahlen schreiben gewiss nicht. Gut, dann müssen wir den Ball an die Politik spielen.

Da sind wir dann bei Punkt zwei:
Da kommen wir der Brisanz des Themas schon näher. Es wäre ein leichtes für die Politik einen verbindlichen Pflegeschlüssel von sagen wir mal 1:5 im Stationsdienst gesetzlich festzuschreiben und diesen zu finanzieren. Wir wären unserer Forderung schon ganz nah.

Bis hierhin klingt das doch alles nach einem guten Wege, auf den wir uns mit #Pflegestreik gemacht haben.

Ich fürchte nur die Sache hat einen gewaltigen Haken, der so groß ist, dass allein das Wissen darum das Gesundheitssystem wie ein Tsunami treffen könnte. Klingt gefährlich, ist es in meinen Augen auch.

Um das zu erklären muss ich ein wenig ausholen, nicht bis Adam und Eva aber schon ziemlich weit.
Es gab schon seit ewigen Zeiten folgende Regel: Jede Generation ist größer als die Vorhergegangene.
Das hat dazu geführt, dass viele Junge wenigen Alten gegenüberstanden. Aus dieser Überzeugung wurden die deutschen Sozialsysteme geformt.
Aber dann kam alles anders.
Ich will jetzt nicht darüber diskutieren, ob diese Entwicklung gut oder schlecht ist, es soll auch nicht als Zynismus verstanden werden. Aber es zeigt wie tief diese Problem in unserer Gesellschaft verankert ist.

Nach dem Krieg wurden also die Sozialsysteme als Umlagesystem geformt, weil man viele Menschen zu versorgen hatte aber kaum Geld dafür. Eigentlich ein genialer Plan, der aber einen Geburtsfehler hat. Die Erfahrung, dass es immer weniger Alte und Kranke gibt als Junge.
Aber wer soll es den Menschen von damals vorwerfen, es war ja immer so.
Dann kam Wirtschaftswunder und beginnender Wohlstand, die Leute bekamen Kinder, alles lief.
Dann änderte sich offensichtlich was in den Köpfen, die Menschen bekamen weniger Kinder, wobei die Pille sicher gut mitgeholfen hat, aber auch die Erkenntnis, dass der Staat und nicht meine Kinder meine Altersversorgung stemmen wird.
Ein kluger Plan für den einzelnen, für das Land eine Zeitbombe ohne Möglichkeit zur Entschärfung. Warum? Gehen wir ca. 50 Jahre zurück, die größte Generation Deutschlands erblickt das Licht der Welt und weil es nie eine größere gab gehen die Lichter aus, unaufhaltsam. Verschärft von einigen unangenehmen Begleitumständen, die wir als unsere Freiheit bezeichnen würden.
Wir wurden mobiler, verließen auf Grund des Wohlstandes der Eltern immer öfter unsere Familien um mit unserer Bildung ein eigenes unabhängiges Leben zu führen. Das klingt gut, fühlt sich auch so an. Aber, ja es hat ein dickes ABER, denn dadurch werden große Familienverbünde zur Seltenheit mit folgenden Konsequenzen: Die Betreuung von Kinder wird schwieriger. Das merken wir heute schon, frei nach dem Motto wo früher noch ne Oma war ist heute eine Kita da... oder eben auch nicht.
Was uns dann aber bald einholen wird, ist ebenso flapsig ausgedrückt: Wo früher die Familie war ist heute nur ne Schwester da! Und auch hier, oder auch nicht!
Oft ist es heute schon so, dass einer Familie vier potentielle Pflegebedürftige gegenüberstehen, nämlich die Eltern des Paares, und selbst bei räumlicher Nähe, die heute immer seltener wird, wäre es schon ein Kunststück, das allein zu schaffen.
Da also muss jetzt professionelle Pflege und auch Betreuung einspringen.

Das ist das eigentliche Drama, auf wenige Junge kommen viele Alte zu, die versorgt werden müssen. Ich las neulich, dass in nicht all zu ferner Zukunft jeder zweite Schulabgänger einen Beruf im Gesundheitswesen ergreifen müsste um die jetzige, in meinen Augen völlig unzulängliche, Versorgung aufrecht zu erhalten.

Wir wünschen uns für unser Alter eine andere Wohnform als ein Altenheim der klassischen Art, wir möchten Individualität bis zum Schluss leben. Ich behaupte das wird nix! Das ist leider nicht drin, weder finanziell noch personell, denn dieses Geld müsste von der nachfolgenden Generation erarbeitet werden, und das ist schon mit Wirtschaftswachstum und Produktivitätsgewinn schwerlich möglich.
Was hat das jetzt mit der Ausgangsfrage zu tun, warum Medien und Politik sich nur sehr zögerlich bis gar nicht auf unser Anliegen eingehen?
Bei der Politik ist sicherlich der Hauptgrund, dass man nicht einräumen will, dass Bevölkerungspolitik und Arbeitsmarktpolitik zu einer Verschärfung eines Problems geführt haben, was von jedem halbwegs begabten Statistiker schon seit 30 Jahren vorhergesagt wird. Ja, man hat sich vor dem Problem gedrückt, weil die größte Wählergruppe Ursache des Problems ist, die Babyboomer. Klar haben die sich das nicht ausgesucht, aber es ist ja auch keine Schuldzuweisung, sondern nur eine Tatsache.

Jetzt kommen die Medien ins Spiel, warum die nicht? Ich denke da sind mehrere Dinge im Spiel. Erstens hat man wichtigeres im Kopf, nälich das hier und jetzt. Dann kommt dazu, dass viele Entscheidungsträger der Medien genau in die Babyboomergeneration gehören. Das hängt nun direkt mit dem nächsten Punkt zusammen. Die Beleuchtung dieses Themas würde eine Frage aufwerfen, und zwar: Wieviel Menschenwürde können wir uns überhaupt leisten bis die Gesellschaft zerbricht?
Das klingt jetzt böse, oder?
Ist aber Kern des Problems und ich denke, dass Verantwortliche in den Medien das auch wissen. Es ist ein Thema was, wenn man es bis zuletzt durchdenkt, Revolutionspotential hat.
Man müsste für eine sachliche Diskussion, fast alles über Bord werfen, was man für politisch korrekt oder für sozial geboten hält. Man müsste Fragen stellen, die so in Deutschland nie mehr gestellt werden sollten, wie zum Beispiel. Wie lange „lohnt“ sich eine medizinische Vollversorgung?
Müssen wir eher palliativ als kurativ handeln, wenn der Patient zu alt/zu krank ist? Wo ist da die Grenze?
Das sind Fragen, die uns kalt erschaudern lassen, aber ich denke darauf läuft es hinaus.
Dass diese Fragen aber niemand aufwerfen will und schon gar nicht die Generation, die es betrifft ist überraschend. Es gehört zu unseren moralischen Vorstellungen Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander auszuspielen. Jeder Mensch ist gleich viel Wert, ist ein Axiom unserer Gesellschaft.

Deswegen denke ich das Problem ist, in dem Gesundheitssystem und auch im Gesellschaftssystem von heute als unlösbar zu betrachten und genau deswegen will und kann niemand darauf eingehen. Es wäre deutlich mehr als eine Reform nötig, sondern eine Grundsatzdiskussion über unsere Werte und Vorstellungen und zwar offen und tabulos! Man muss tatsächlich diskutieren ob es ethisch vertretbar ist einen Menschen medizinisch zu behandeln damit er danach in einem Pflegeheim im Bett einsam verotten darf, nur damit wir uns moralisch besser und frei von Schuld fühlen. Wir müssen uns viele Dinge fragen, nach dem Verhältnis von Würde und Existenz. Ist die reine physische Existenz erstrebenswert wenn wir ihr keine Würde mehr verleihen können? Muss ein Patient von 80 Jahren ein neues Gelenk mit 40 Jahren Haltbarkeit bekommen, oder geht es auch anders. Kurz, muss alles was man behandeln kann auch behandelt werden, oder gibt es Dinge die wir im Alter ertragen müssen? Das ist die Diskussion die geführt werden müsste!

Ich schlage vor diese zu führen, bevor die Sache den Bach runter geht.
Alter, Krankheit und Tod sind keine Winner Themen, gerade in unserer Zeit.
Aber es ist nötig, dass wir diese Themen angehen, bevor es zu spät ist.


Bis das soweit ist mache ich weiter mit beim #Pflegestreik, denn wir können nicht warten bis es zu spät ist. Wir leiden jetzt schon unter der Situation, wir unser Familen unsere Patienten. Je länger nicht über die Probleme der Pflege gesprochen wird, um so schwerer wird das Umsteuern. Wir sind es euch schuldig, die Diagnose zu überbringen: Der Patient Gesundheitswesen ist krank und wenn wir nicht radikal behandeln wird er es nicht schaffen! Aber dafür müsst ihr uns zuhören!

Euer

Garcon de Piss

Dienstag, 23. Juni 2015

Von Bundesjugendspielen und anderen „Kleinigkeiten“

Von Bundesjugendspielen und anderen „Kleinigkeiten“


Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass ich absolut nichts gegen @mama-arbeitet habe. Und natürlich muss mich niemand nach meiner Meinung fragen bevor er/sie eine Petition startet. Allerdings muss man dann auch damit klar kommen, wenn ein Anliegen von einigen weder geteilt, noch für sinnvoll oder gar zielführend erachtet wird. Und bei Frau Finke bin ich mir eigentlich sicher, dass sie mit Kontroverse umgehen kann, solang man auf Beleidigungen oder schlimmere Entgleisungen verzichtet.


Zum Thema Bundesjugendspiele


Ja bitte, schafft sie doch ab! Erspart den leichtathletisch Minderbegabten die jährliche Schmach und verderbt allen anderen den Spaß. Wenn es Euch glücklich macht. Nutzen wird es jedoch niemandem. Denn die dicke Tina wird weiterhin beim Zirkeltraining ausgelacht werden. Torben steht immer noch mit roten Kopf und kurz vorm heulen als letzter in der Turnhalle, wenn Mannschaften gewählt werden und dass Christina keinen Ball fangen kann, wird auch in Zukunft ihr Selbstbewusstsein wenig stärken.
Genauso geht es übrigens auch regelmäßig Tim dem „Mathe Looser“, denn auch wenn er nicht öffentlich eine Teilnahme Urkunde für den Mathematikunterricht überreicht bekommt, so ist überraschenderweise dennoch jedem klar, wer sich erneut die einzige 5, erkennbar am Klassenspiegel, abholen darf. Und wenn Hanna an die bevorstehende Theateraufführung denkt, wird ihr jetzt schon schlecht, weil sie ein weiteres mal den einzigen Satz, den sie mit Rücksichtnahme auf ihr nicht vorhandenes Talent zu sagen hat, vor Aufregung und Scham versemmeln wird. Alles anscheinend traumatische Erlebnisse, die es unbedingt zu verhindern gilt, oder etwa nicht?

Und jetzt sage ich Euch mal, warum es in meinen Augen die falscheste aller Lösungen ist, den Kinder diese Erfahrungen ersparen zu wollen.
Ich habe nämlich selbst einen aus dem „Team Teilnahme Urkunde“ hier zur Hause. Jemand, der mir am letzten Schultag Tränen überströmt und völlig am Boden zerstört das beste Zeugnis der Klasse in die Hand drückt, mit dem Verweis auf die grausam peinliche Urkunde, die kurz davor verliehen wurde. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mir dabei eine Menge durch den Kopf ging, allerdings ganz sicher nicht, unmittelbar eine Initiative ins Lebens zu rufen um diese unsäglichen Bundesjugendspiele endlich abzuschaffen.
Klar ist es immer scheiße, wenn der eigene Nachwuchs heult und ganz offensichtlich tief verletzt ist. So absurd sich das auch für einen Erwachsenen darstellt, der gerade vor Stolz platzen möchte ob dieses wahsinns Zeugnisses. Aber dafür sind wir Eltern doch da. Gefühle ernst nehmen? Klar! Ende der Welt? Nein, sicher nicht! Das dem Kind zu vermitteln, empfinde ich als meine Aufgabe in dieser Situation. „Ist ok, wenn Du traurig bist, aber hey! Guck mal, was du alles gut kannst. Du bist toll, auch ganz ohne diesen Leichtathletik Kram. Oder wolltest Du etwa professioneller Ballweitwerfer werden? Man kann halt nicht immer ganz vorne mit dabei sein. Scheiß drauf!“
Natürlich funktioniert das nicht auf Knopfdruck, zack Kind glücklich. Aber nach nun mittlerweile 5 Bundesjugendspielen kann ich Euch verraten, dass hier niemand mehr deswegen heult. Dafür sitze ich dann wahrscheinlich demnächst hier und versuche zu erklären, warum die Tatsache, dass Melina jetzt doch mit dem Lars geht, auch scheiße aber immer noch nicht das Ende der Welt ist.
Ich möchte, dass unsere Kinder lernen mit Niederlagen um zu gehen und dass sie lernen ihre Fähigkeiten realistisch einzuschätzen. Wie sonst sollen sie ihren Weg finden? Ich würde mir wünschen, dass wenn unsere Tochter (wie ich damals) mit „Na, hat das Bild etwa deine 4 jährige Schwester gemalt?“gehänselt wird, mit „Ne, dann sähe das entschieden besser aus.“ antwortet und dabei lachen kann. Das erreiche ich aber ganz sicher nicht, indem ich eine Initiative starte, dass Kinder ab sofort nur noch in Einzelkabinen Kunstunterricht erhalten um dieser grauenhaften Diskriminierung endlich ein Ende zu setzten. Das dazu.

... und andere Kleinigkeiten


Nun aber zu dem eigentlichen Grund, warum ich derart geladen bin, dass ich entgegen meiner Pläne erst mal lange nix zu bloggen, schon wieder hier sitze. Die Bundesjugendspiele scheinen, wie @mama-arbeitet bereits erkannt hat, ein sehr emotionales Thema zu sein. Ich werde das kaum leugnen können, wo ich mich ja gerade selbst dazu berufen fühlte, auch meinen Senf beizutragen. Also wird fleißig diskutiert, getweetet, gepostet, geteilt was das Zeug hält. Alles nicht weiter verwunderlich. Parallel zu diesem offensichtlich gesellschaftlich relevanten Thema, und nun kommen wir zum Punkt „andere Kleinigkeiten“, passiert aber noch etwas anderes, das ich bis dato auch für „nicht ganz so unerheblich“ gehalten hatte.
In Berlin gehen, erstmals in der deutschen Streikgeschichte, Pflegerinnen und Pfleger FÜR EUCH auf die Straße und streiken. Nicht für mehr Geld. Nicht für eine 35 Stunden Woche oder ähnlichen Luxus. Nein, sie streiken für mehr Kollegen, damit IHR also die potentiellen Patienten überhaupt anständig versorgt werden könnt. Wisst ihr, wir, also alle Pflegenden, wir haben im schlimmsten Fall eine Alternative. Nämlich die Kündigung. Wenn nichts mehr geht, dann können wir aus dem Krankenhaus, Seniorenheim, ambulanten Pflegedienst etc einfach raus marschieren und der Katastrophe somit entfliehen. Was übrigens massenweise Kolleginnen und Kollegen bereits getan haben. Ihr Patienten, ihr könnt das nicht. Weshalb wir bislang auf Streik verzichtet haben. Für mehr Geld die Patienten/Bewohner im Stich lassen? Wo wir doch eh schon dauerhaft unterbesetzt sind? Nein, da haben die meisten meiner Kollegen Skrupel. Schließlich kann die bettlägerige alte Dame am wenigsten dafür, dass wir immer mehr Stellen gestrichen bekommen und somit hoffnungslos überlastet sind. Die zahlreichen (wie ich finde bescheuerten) Tweets auf Twitter haben ja auch gezeigt, dass Ihr das super von uns fandet. „Die doofe GDL streikt, danke an die Pflegekräfte, dass ihr das nicht tut!“ Dummerweise hat dieses fürsorgliche Nicht-streiken mittlerweile dazu geführt, dass nicht nur wir uns kaputt schuften, sondern Ihr trotzdem unterversorgt seid. Und wenn dann erst mal jemand verblutet ist, weil die Nachtschwester allein mit 40 Patienten überhaupt keine Chance hatte, das rechtzeitig zu bemerken, dann, ja dann steht sogar das Pflegepersonal auf. Erst wurde für mehr Personal gebettelt, dann reihenweise Überlastungsanzeigen geschrieben und jetzt ist es in Berlin in der Charite endlich soweit, dass zum letzten Mittel vor der Kündigung gegriffen wird, nämlich zum Streik. Für EURE Gesundheit! Damit DU nicht an einem banalen Routineeingriff versterben musst, bloß weil niemand regelmäßig Deinen Zustand kontrollieren konnte. Und in ganz Deutschland beobachten Pflegekräfte diese Entwicklung gespannt und hoffen darauf, dass jetzt endlich begriffen wird, wie nötig Veränderungen sind und Bewegung in die Sache kommt. Druck auf die Charite, Druck auf die Regierung. Berichte über die Pflege. Empörung über derart katastrophale Zustände in deutschen Einrichtungen. Sie sitzen vorm Fernseher oder schauen im Internet nach wann endlich die „gesunde“ Öffentlichkeit von all dem erfährt. Und was kommt? NICHTS!
Wenige Sekunden in der Tagesschau gestern und 2 Artikel im Tagesspiegel. Darüber hinaus? NICHTS!
Dafür, (und nein, da kann Frau Finke überhaupt nichts für und das ist auch nicht im geringsten ihr Problem) bekomme ich das Thema Bundesjugendspiele von allen Seiten in meine TL. Angefangen mit @sternde und als es sogar die @tagesschau raus gehauen hat, ist mir endgültig der Kragen geplatzt. Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem ich anfange, das persönlich zu nehmen. Die Pflege ist am Boden. Sie kann nicht mehr. Aber anstatt wegzulaufen, stellen sich die Mitarbeiter der Charite auf die Straße und schreien nach Hilfe. Um EUCH helfen zu können. Damit EUCH nichts schlimmeres passiert als ein Krankenhausaufenthalt. Und was macht ihr? Ihr diskutiert über die Bundesjugendspiele. Danke für nichts! Dann habt ihr es auch nicht besser verdient. Ich bin raus.

Oder liebe Fans der Bundesjugenspieldebatte, Ihr setzt Euch jetzt auch für mal uns ein. Wimmernde Kinder, die in der Ecke sitzen, weil sie nicht die Leistung erbringen können, die verlangt wird, tun Euch leid? Was ist dann mit uns Pflegekräften? Wir bekommen jeden Tag eine beschissene Teilnahme Urkunde. „Notwendige Leistungen konnten leider nicht erbracht werden, weil ihr einfach nicht genug seid. Aber hey, immerhin ward ihr da!“
Wie viele Pflegekräfte bleiben da wohl auf der Strecke? Ist es womöglich auch ein traumatisches Ereignis, sich für gesundheitliche Schäden oder gar den Tod eines Patienten verantwortlich zu fühlen? Ok, eine Petition zur Abschaffung der Pflege ist hier wohl leider weder zielführend noch möglich. Aber wie wäre es zum Beispiel mit einer Petition für die Einführung eines bundesweiten Pflegeschlüssels um diesem Leid auf beiden Seiten des Pflegebettes endlich ein Ende zu setzten?

Eure @emergencymum

Donnerstag, 18. Juni 2015

Der Fisch stinkt immer vom Kopf

Hallo Ihr Lieben,


nun ist es soweit. Drei Akte eines Dramas waren versprochen, hier folgt nun Teil 3. Viele, ganz, ganz viele sicherlich auch lesenswerte und teilweise schockierende Anekdoten aus der Zeit meiner Ausbildung musste ich weglassen, um mich mit dem folgendem Text dem Ende widmen zu können. Aber ich wollte ja auch kein Buch schreiben. Und das wäre es sicher geworden. Außerdem denke ich, dass meine Botschaft eigentlich schon nach dem 1. Akt ersichtlich war. Nämlich: So kann es ganz sicher nicht weiter gehen! Nicht in der Krankenpflegeausbildung, nicht in der professionellen Pflege selbst, in keinem Krankenhaus, keinem Seniorenheim, keinem ambulanten Pflegedienst oder wo auch immer, sollten jemals solche Zustände herrschen. Nicht für Schülerinnen und Schüler, nicht für examiniertes Pflegepersonal, Pflegehilfskräfte, Praktikanten und ganz sicher nicht für das am häufigsten schwächste Glied der Kette, den Patienten.
Vergessen wir also die 152 Überstunden, die ich während meiner Ausbildung gemacht habe, die kurz vorm Examen im System einfach gelöscht wurden. Ignorieren wir den April indem ich 28 von 30 Tagen arbeiten musste inklusive Ostern, weshalb ich hinterher an meiner eigenen Toilettentür angeklopft habe, weil ich nicht mehr wusste wo oben und unten ist. Sehen wir drüber hinweg, dass ich absichtlich vor meinem praktischen Examen zum ersten Mal in 3 Jahren 6 Tage am Stück frei bekommen habe, damit ich auch ja keine Chance habe, einen meiner Prüfungspatienten vorher kennenzulernen. (Ihr merkt, ich könnte stundenlang so weiter machen.)
Nein, Schluss jetzt. Kommen wir nun direkt zum krönenden Abschluss eines 3 jährigen Spießrutenlaufs.


Der Fisch stinkt immer vom Kopf



Nachdem die letzten zwei Teilen beide von meinem ersten praktischen Einsatz handelten, nun ein ganz weiter Sprung auf dem Zeitstrahl. Knapp 3 Jahre später. Ich habe meine drei schriftlichen sowie meine praktische Prüfung (Trotz massiven Bemühungen der Examensstation, das zu verhindern. Allein dazu könnte ich seitenweise schreiben.) bereits bestanden.
Zeit für Bewerbungen also. Denn nun folgen ja „nur noch“ 3 mündliche Prüfungen und sollten die ebenfalls von Erfolg gekrönt sein, möchte man ja auch kurz um richtiges Geld verdienen.

Haha, der war gut! Richtiges Geld. Also ich meine damit mehr Geld als in der Ausbildung.

Egal, ich habe also angefangen Bewerbungen zu schreiben und, werdet es kaum glauben, aber unter anderem sogar in dem Haus, in dem ich gelernt hatte. Das allerdings hatte seine Gründe. Es gab dort, wie soll es umschreiben, zwei „Außenbezirke“. Und zwar die Psychiatrie und die Notaufnahmen. Diese funktionierten völlig entkoppelt von dem sonst nahezu immer gleichen Stationsbetrieb. Meinen Pflichteinsatz in der Psychiatrie empfinde ich auch heute noch als Atempause. Die Patienten hatten ganz anderen Pflegebedarf als Unterstützung bei der Körperpflege, Hilfe beim Toilettengang oder zur Mobilisation. Sie benötigten Gespräche, dass jemand da ist, dass jemand ihnen hilft ihren Alltag zu organisieren, so etwas eben. Und am meisten „entspannt“ haben mich die Kollegen. Dort gab es kein Kompetenzgerangel, kein „Ich Examiniert, Du Dreck“ Gehabe, kein Mobbing untereinander, nichts dergleichen. Klar hatte auch dort nicht jeder jeden lieb. Aber die Pflegekräfte hatten gelernt professionell damit umzugehen. Wer mit akuten Borderlinern arbeitet, kann offensichtlich auch dem Kollegen sagen, dass er seine Kaffeetasse doch bitte in die Spülmaschine räumen soll, ohne sich vorher mit 14 anderen verbünden zu müssen, um deswegen einen Krieg anzufangen. Faszinierend oder? Fazit Psychiatrie war cool. Eine Zeit lang hätte ich gern dort gearbeitet. Sicher nicht ewig aber um „runter zu kommen“ nach der Ausbildung schon ok. Und nun der 2. Außenbezirk. Die Notaufnahme. Der Einsatz dort war alles andere als entspannend und die Kollegen im Schnitt auch eher so...Geht so. Paar gute eben, paar Zicken, paar unauffällige. Dort war es eben die Arbeit, die mich lockte. In der Notaufnahme gibt es nichts schön zu reden. Dort wird gehandelt und zwar hoffentlich richtig. Da kann niemand im Nachhinein die Verantwortung abschieben mit „Das hat bestimmt der Spätdienst vergessen.“ oder „Das hat der Patient wohl falsch verstanden.“ Dort benötigt man Fachwissen und Erfahrung. Je mehr desto besser. Und je schneller Du bist desto besser. Außerdem beschwert sich auch kein Patient, der einen Herzinfarkt hatte darüber, dass er das Gefühl hatte abgefertigt zu werden, wenn ihm durch schnelles Handeln das Leben gerettet wurde. Während genau dieses „Abfertigen“ auf allen anderen Stationen eines der größten Probleme darstellt. Und irgendwie war der Wunsch, in einer Notaufnahme zu arbeiten, wohl auch die ersten Anzeichen der Flucht aus der Pflege. Denn was auch immer dort behandelt wird, mit Pflege hat das alles wenig zu tun.

Lange Rede kurzer Sinn. Ich kam nicht umher meine Bewerbungsunterlagen an Mr Wichtig Himself also den Pflegedirektor abzuschicken, weshalb ich mir ohnehin keine Hoffnungen machte, dass diese jemals in der Psychiatrie oder Notaufnahme ankommen werden. Denn selbst, wenn er vergessen haben sollte, wer ich war, hatte ich die Unverschämtheit besessen bereits in den Unterlagen klar zu formulieren, dass ich mich exakt für die beiden Stationen bewerbe. Solch Aufmüpfigkeit wird in einem Haus voller willenloser Untertanen überhaupt nicht gern gesehen. Um so überraschter war ich, als ich von der Schule über meinen Termin zu Vorstellungsgespräch informiert wurde. Zwei Tage vor der ersten mündlichen Prüfung. Na sowas, jetzt hatte ich bereits meinen Spind geräumt, die Klamotten zurückgeben, Namensschild und Mitarbeiterausweis an meinem letzten Arbeitstag an der Information zurückgelassen und den riesengroßen, fiesen Klotz mit einem gedanklichem 
Fickt Euch alle!
verabschiedet, als ich zum vermeintlich letzten Mal durch die Drehtür marschierte und dann das. Vorstellungsgespräch? Ernsthaft? Dann bekam ich mit, dass alle aus unserem Kurs, die sich dort beworben hatten, in diesen Tagen zum Gespräch eingeladen wurden. Ach so, ist also so ein „Wir tun mal so, als gäben wir hier jedem die gleiche Chance Ding.“ Könnte wohl schlechte Presse geben, wenn die eigenen „top-ausgebildeten“ Azubis, wenn sie denn bestanden haben, nicht auch in den heiligen Hallen empfangen werden. Das dachte ich zumindest. Aber ersten kommt es anders und zweitens....


Vorstellungsgespräch:

PD: „Guten Tag Frau *blättert in seinen Unterlagen* Schulze. Setzen Sie sich! Also Ihre Noten bislang... Zwischenzeugnis gut. (Das war nicht gut sondern hervorragend.) Die Ergebnisse der schriftlichen Prüfungen sind zufriedenstellend. (Die waren gut.) Aber im praktischen, ja, da ist ja wohl das Problem.

(Das „Problem“ heißt „befriedigend“ und liegt daran, dass das die einzige Prüfung war, auf die Ihr beschissen intrigantes Personal einen Einfluss hatte. Ich hatte keine Vorbereitung, kannte am Tag der Prüfung die Patienten nicht und dann wurden plötzlich alle Untersuchungen nochmal spontan umgeplant, damit ich auch ja noch Zeitdruck bekomme. Außerdem wurde einem Patienten ein falsches Medikament auf den Tisch gestellt, welches er natürlich auch noch sofort zu sich nahm, was für noch mehr Aufregung sorgte. Danke dafür! Und dennoch habe ich diese Prüfung mit „befriedigend“ bestanden. Das ist mehr wert als jede glatte 1 mit Vorlauf und ohne Spielchen. So!)

PD: „Sie wollen in der Psychiatrie arbeiten. Also da habe ich mit Herrn Schelzing drüber gesprochen, der kann sich das überhaupt nicht vorstellen. Offensichtlich haben sie bei ihm keinen so guten Eindruck hinterlassen.“


Wer ist Herr Schelzing?“

PD: „Die Stationsleitung der geschlossenen Psychiatrie. Sie haben doch dort gearbeitet oder nicht?“

Ja, 5 Nächte. Den Rest meines Einsatzes in der Psychiatrie arbeitete ich jedoch auf der Station...

PD: „Sehen Sie, dann kennen sie Herrn Schelzing ja.

Nein, denn Stationsleitungen arbeiten ja nicht nachts.“

PD: „Um es kurz zu machen, ich habe mit allen Mitarbeitern gesprochen und niemand hier im Haus möchte mit Ihnen zusammen arbeiten!

(Aha, über 3000 Angestellte, davon ca. 900 in der Pflege. Und er hat mit allen gesprochen, und leider fanden mich alle doof. Und weil er sich schon so eine Mühe gemacht hat, nur wegen meiner Bewerbung und so, musste er mir das Ergebnis jetzt natürlich auch persönlich mitteilen. Logisch oder?)

Ähm und Sie laden mich zu diesem Vorstellungsgespräch ein, nur um mir das mitzuteilen?

PD: „Ja!

Dann hoffe ich für Sie, dass es Ihnen jetzt besser geht, womit das Gespräch für mich dann aber auch beendet wäre.

PD: „Wann hier welches Gespräch zu Ende ist, entscheide immer noch ich!

Sie können ihr Gespräch gern allein fortsetzen, ich gehe jetzt! Auf wiedersehen!


Wie sich im Nachhinein herausstellte, war ich nicht einmal die einzige. Der (Achtung!) Kursbeste durfte sich ähnliche Unverschämtheiten anhören. Auch er ein Verfechter der Theorie „Ich bin hier um eine AusBILDUNG zu machen keine AusBEUTUNG.“ Böser Fehler offensichtlich.
Gut, die Nörgelei an den Noten funktionierte bei Ihm noch weniger als bei mir aber dann halt in dem Stil „Sie wirken immer so unmotiviert.“ Soziale Inkompetenz, keiner mag sie und solch harte Fakten eben.


Ok, diesmal ging es hier nicht um schockierende Berichte aus dem Krankenhausalltag. Nicht um gefährliche Pflege, Hygienefehler oder vernachlässigte Patienten. Und vielleicht wird dieser letzter Akt somit von einigen als eher unspektakulär empfunden. Nun muss man sich allerdings den Vorgang mal genauer betrachten. Da sitzt jemand, den ich bis dato genau 2 Mal gesehen hab, nämlich bei der Begrüßungsveranstaltung zu Beginn meiner Ausbildung und als er wutentbrannt über den Krankenhausflur der Onkologie an mir vorbei stapfte. Jemand, der verantwortlich zeichnet für über 900 Mitarbeiter. Das bitte nochmal auf der Zunge zergehen lassen: Über 900 Mitarbeiter! Und dieser Herr macht sich Mühe, einen Termin mit einer Schülerin zu vereinbaren, um sie

a) dreist zu belügen und
b) ihr 2 Tage vor den letzten Prüfungen zu sagen, wie scheiße sie doch ist.

Er will mich dort nicht haben. Bitteschön, das ist sein gutes Recht. Aber was sollte diese Show? Meine Chefin in der Psychiatrie hatte explizit darum gebeten, dass ich mich doch bewerben möge. Psychiatrie sei nicht wirklich beliebt bei den Anfängern, ihr fehle ständig vor allem junges Personal und ich würde sicher wunderbar ins Team passen. Mit dem Chef der Notaufnahme war ich per Du. Auch er hatte mir gute Chancen in Aussicht gestellt, sobald er meine Bewerbungsunterlagen auf dem Tisch liegen hat. Offensichtlich sind diese dort (wie ja bereits befürchtet) nie angekommen. Auch das wäre alles kein Problem gewesen. Wenn Mr Wichtig Himself den Störfaktor „Julia“ nicht haben will, dann muss er eben nicht. Dieser Auftritt allerdings machte mir einiges klar. Nein, ich hatte keinen Verfolgungswahn, wenn ich der Meinung war, dass es nahezu auf jeder Station Vorbehalte gegen mich gab. Nein, ich habe mir den Boykott meiner praktischen Prüfung nicht eingeredet. Das waren keine dummen Zufälle. Und nein, nicht ich bin die „Komische“, die offensichtlich überall aneckt, sondern die andere Seite ist krank. Sehr krank! Ich hatte meine Verleumdung nicht schweigend hingenommen (der Schule gegenüber zumindest nicht) und damit hatte ich mich gegen ein System aufgelehnt, das keinen Widerspruch duldet. Erst recht nicht von ganz, ganz, ganz unten in der Hierarchiekette. Eine Anfangsschülerin, die sich wehrt? Und die auch noch bleibt um ihr Examen zu machen? Das konnte man unmöglich „straffrei“ durchgehen lassen, hinterher könnte ein Stefan zum Beispiel auch noch auf die Idee kommen, seinen unbefristeten Vertrag dazu zu missbrauchen, um am System zu rütteln. Gott bewahre!
Dummerweise hatte dieses Gespräch das Gegenteil dessen bewirkt wozu es gedacht war, nämlich mich zu verunsichern. Vielleicht verreißt es die Julia ja doch noch in einer der letzten Prüfungen, wenn wir sie vorher nochmal so richtig fertig machen. Und in der Tat hätte ich dann ein Problem gehabt. Dieses Haus nochmal betreten? Ganz sicher nicht! Meine Unsicherheit aber war wie weggeblasen. Alles war plötzlich sehr eindeutig. Und ich sehr stolz auf mich, dass ich mich bis zuletzt dagegen gewehrt habe. Ich mag mein Rückgrat eben und möchte es gern behalten. Ich werde die letzten Prüfungen bestehen, weil ich gut bin. Nicht beliebt sondern fachlich gut. Die beliebten können Waschlappen falten und Bettdecken gerade ziehen, ich kann pflegen. Und so kam es dann auch. Meine mündlichen Prüfungen verliefen problemlos und keine Woche nach dem mir der Pflegedirektor klar machen wollte, dass ich ohnehin zu nichts tauge, unterschrieb ich bereits meinen Arbeitsvertrag in einer anderen Notaufnahme.

Für den größten Lacher kurz vor der Examensparty sorgte dann noch folgende Entscheidung unseres offensichtlich maßlos kompetenten obersten Oberchefs. Obwohl er zu Beginn der Ausbildung lauthals verkündet hatte, den besten dreien des Kurses in jedem Fall einen Arbeitsvertrag anzubieten, entschloss er sich kurzerhand dann doch für ein anderes Trio. Nämlich für 2 stille Damen aus dem leistungsmäßigen Mittelfeld und, jetzt bitte nicht lachen, die schlechteste. Zum Dank für diesen Vertrauensbonus namens Arbeitsvertrag, versemmelte diese dann auch (wie erwartet) ihre Prüfungen und der geschätzte Pflegedirektor stand mit einer Stelle zu wenig da.
Tja, dumm gelaufen.


Mein Fazit nun und das richtet sich an alle: Von Schülern und examinierten Kollegen über Führungskräfte und Praktikanten bis hin zu Patienten und Angehörigen: Lasst Euch das nicht bieten! Wenn ihr Missstände beobachtet, sprecht sie an! Macht es anders! Lasst Euch nicht unter kriegen, weil vermeidlich „alle“ gegen Euch sind. Nur weil viele in eine Richtung rennen heißt das noch lange nicht, dass es der richtige Weg ist. Wenn wir nicht endlich anfangen uns aufzulehnen gegen solche Systeme, wer dann?


So, die @emergencymum hat fertig.


Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit! :)

Montag, 15. Juni 2015

Ein Zwischenbericht

Hallo Ihr Lieben,

eigentlich wollte ich Euch jetzt schon den 3. Teil meiner wunderschönen Reihe über den liebevollen Umgang meines Ex-Arbeitgebers und seinen Untertanen mit dem Verbrauchsmaterial Krankenpflegeschüler präsentieren. Nach den ersten beiden Teilen jedoch bin ich ständig gefragt worden „Warum hast Du da bloß weiter gemacht?“ Eine durchaus berechtigte Frage. So berechtigt, dass ich mir zunächst selbst einmal dazu ein paar Gedanken machen musste um eine ehrliche Antwort darauf geben zu können. Drei Gründe haben sich dabei heraus kristallisiert. Nämlich:
 a) Mit dem Rücken zur Wand stehen
 b) Trotz und 
 c) Der Rückhalt in der Familie besonders der meines Mannes. 
Um das zu erklären muss ich ein bisschen ausholen. Es ist aber auch irgendwie wichtig, das zu verstehen, bevor ihr den 3. Teil lest. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, erst mal diesen Zwischenbericht zu schreiben bevor ich euch mit dem letzten Teil nochmal die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lasse. Aber lest einfach selbst!


Ein Zwischenbericht



Völlig überfordert und schlecht behandelt werden. Seelisch gequält und verleumdet. Dabei zusehen müssen, wie hilflose Menschen im Stich gelassen werden ohne die geringste Chance daran irgendetwas ändern zu können. Aber am nächsten Tag wieder zur Arbeit kommen um sich innerhalb von nur 8 Stunden an die körperlichen und seelischen Grenzen schuften zu dürfen. Warum tut man so etwas? Beziehungsweise warum habe ich das getan? Der Versuch einer Erklärung.

Mit dem Rücken zur Wand

Nun, beruflich war ich bis zu Beginn meiner Ausbildung, na formulieren wir es nett, ein wenig sprunghaft. Hier was angefangen, da quer eingestiegen, noch ein bisschen Schule nebenher, ups schwanger. Ihr kennt das. ;) Mit dem Ergebnis: Viel Erfahrung in vielen verschiedenen Dingen aber keinen adäquaten Abschluss. Mich beruflich auszuprobieren in jungen Jahren war sicher gar nicht so verkehrt. Wenn dann allerdings plötzlich so ein kleiner Minimensch Mama zu Dir sagt, wird irgendwie alles anders. Die Leichtigkeit ist dahin und ich spürte das dringende Bedürfnis nun jetzt doch endlich irgendetwas auch mal zu Ende zu bringen. So mit Zettel in der Hand worauf bescheinigt ist „Die kann das wirklich!“ Und ich hatte mich, nach den Erfahrungen mit meiner sterbenden Oma, nun mal für diesen Beruf entschieden. Ich wollte beruflich helfen, Menschen professionell auf ihrem Weg begleiten ob in die Gesundheit oder in den Tod. Aber nicht „so ein bisschen nebenbei“, sondern richtig, mit Fachkompetenz und Anerkennung eben. Und dazu benötige ich nun mal dieses verdammte Examen.

Trotz

Die Stationsleitung der Onkologie war sich dank meiner Probezeit sicher, mit Stefans Auftritt das „Problem Julia“ ein für allemal entsorgt zu haben. Das war deutlich an ihrem entgleisendem Gesichtsausdruck zu erkennen, als ich am nächsten Tag pünktlich um 5.45 Uhr zum Kaffee kochen erschien. Jetzt musste Sie doch noch eine Schippe drauf legen und tatsächlich Meldung in der Schule machen, dass diese Schülerin ja keinesfalls tragbar sei. Was sie nicht wusste, ich war bereits dort. Unmittelbar nach meinem Abgang auf Station, bin ich nämlich zur Schule marschiert. 3 Mal tief Durchatmen, Tränen aus dem Gesicht wischen und um ein Gespräch mit meiner Klassenlehrerin bitten. Sie zweifelte keine Sekunde an meiner Aussage und ihr war sofort klar, dass niemand seitens des Krankenhauses jemals offiziell diese Geschichte an die Schule weiterleiten würde. Isoliertes Zimmer? Patientin, die Chemotherapie bekommt? Erstsemester Schülerin allein dort drin? So etwas einer Krankenpflegeschule telefonisch oder gar schriftlich mitzuteilen gleicht einer Selbstanzeige. Weshalb das Telefonat der Stationleitung am nächsten Tag auch irgendwie anders verlief als sie es wohl geplant hatte. Wie sich beim darauffolgendem Gespräch mit meiner Klassenlehrerin und der Direktorin der Schule herausstellte lief das Telefonat wohl in etwa so:

„Guten Tag, hier spricht die Stationsleitung der Onkologie. Es geht um ihre Unterkursschülerin hier bei uns. Also die wirkt total unmotiviert (das ist übrigens der Klassiker an Formulierung mit der Schüler, die nichts falsch gemacht haben, kritisiert werden) und im Umgang mit den Patienten ist sie eigentlich nicht tragbar.“

„Sie sprechen also über Julia, nach den ersten Klausuren eine der besten ihres Kurses. Im Umgang mit welchen Patienten ist sie denn untragbar? Vielleicht mit isolierten MRSA Patienten, die Chemotherapie erhalten und damit eine massive Gefahr für meine Schüler darstellen sofern sie den Umgang damit noch nicht lernen konnten, was bei einer Erstsemester Schülerin im Anfangsblock wohl eindeutig der Fall sein dürfte?“

„Ähm nein, wie kommen sie denn auf so etwas?“

„Hören Sie, es ist mir bereits mehrfach zu Ohren gekommen, dass sie offensichtlich ein Problem damit haben, seit kurzem auch Anfangsschüler von uns zugeteilt zu bekommen. Sollten sie sich also nicht in der Lage sehen, diese in den Stationsalltag zu integrieren und während des Einsatzes auf ihrer Station angemessen praktisch auszubilden, leite ich das natürlich umgehend so weiter. Sie werden dann ab sofort aus der Planung ausgeschlossen. Das gilt dann allerdings für ALLE unserer Schülerinnen und Schüler.“

„Nein, natürlich ist das überhaupt kein Problem. Danke für das Gespräch.“

(An dieser Stelle möchte ich kurz erwähnen, das es unter keinen Umständen möglich gewesen wäre auch nur eine einzige Station in diesem Haus ohne Schüler aufrecht zu erhalten. Zum Teil waren mehr Schüler als examinierte im Dienst, an Wochenenden und Feiertagen sowieso. Ohne Schüler kein Waschen, kein Frühstück, kein Kaffee, niemand der aufräumt, Klingeln abarbeiten usw. Absolut undenkbar ohne das festangestellte examinierte Personal nicht mindestens zu verdoppeln.)


Meine Klassenlehrerin bot mir an, persönlich mit zur Station zu gehen um die Angelegenheit zu „klären“. Gleichzeitig erklärte sie mir aber, dass wenn sie nun „dieses Fass auf macht“ ich das mit Sicherheit bis zum Ende meines Einsatzes wenn nicht sogar bis zum Ende meiner Ausbildung werde zu spüren bekommen. Wörtlich sagte sie.“Die werden versuchen dich auflaufen zu lassen wo es nur geht. Das wird ein einziger Spießrutenlauf.“
Sie hätte nur Einfluss auf meinen schulischen Weg, zu den Praxiseinsätzen könne sie mich schlecht täglich begleiten. Hätte ich damals gewusst, dass dies ohnehin exakt genau so passieren wird, hätte ich ganz sicher jedes verdammte Fass aufgemacht, was es aufzumachen gab. Tja nun, damals ließ ich es. Aber es war mir immerhin eine große Genugtuung, jeden Tag wieder in das dumme Gesicht der Stationsleitung zu blicken, wenn ich sie freudestrahlend (ja, wenn ich will bin ich eine super Schauspielerin) begrüßte. Schülerin 1 Stationsleitung 0.
Und eines schönen Tages wird die Julia dann mit ihrem Examen in der Tasche hier raus marschieren, Dir den Mittelfinger zeigen und du dämlich Plinse kannst überhaupt rein gar nichts dagegen tun! Ha!



Rückhalt in der Familie

Wie Ihr ja wisst, ist mein Mann ebenfalls Krankenpfleger. Und ich denke, das war meine Rettung. Keinem normalen Menschen (und mit normal meine ich alle, die nicht in der Pflege arbeiten) hätte ich erklären können, was ich durchmache und warum. Er wusste es. Er kannte die Ausbildung, die Bedingungen, den Schock, wenn man bemerkt, dass die wenigsten in der Pflege noch annähernd sauber ticken, sondern entweder auf dem besten Weg sind, selbst kaputt zu gehen oder schon dabei sind andere für sich über die Klippe springen zu lassen.
Dann noch meine Schwiegereltern, die sich im 3 Schichtbetrieb um unseren Sohn gekümmert haben und das Unmögliche möglich gemacht haben, was die Kinderbetreuung angeht. Der Kleine wurde sogar mit in den Kurzurlaub genommen damit ich mich auf Prüfungen vorbereiten konnte ohne ein schlechtes Gewissen zu haben oder auch damit mein Mann und ich einfach zwischendurch mal durchatmen konnten. Alle haben irgendwie Opfer gebracht, damit ich das durchziehen kann. Das mag jetzt zu Beginn der Ausbildung noch nicht so ausschlaggebend gewesen zu sein, je länger es dauerte um so wichtiger hingegen wurde es. Einfach alles hinschmeißen war irgendwann einfach keine Option mehr.

Ich hoffe, dass Ihr mich nun etwas besser versteht und ja, in Kürze mache ich mich dann auch dran und schreibe Euch endlich den 3. und letzten Teil. Danach habt ihr dann erst mal wieder Ruhe vor meinen Horrorgeschichten. ;)

Eure @emergencymum


Samstag, 13. Juni 2015

Der zweite Akt: "Von Kühen und Schweinen"

Hallo Ihr Lieben,

da bin ich wieder. Ihr wollt ja nun sicher wissen, wie es mit meinem Kumpel Stefan so weiter ging. Der 2. Teil meiner Reihe „Warum ich auf Twitter so dermaßen ausraste, wenn es um mein Lehr- *räusper* Krankenhaus geht“ wird Eure Neugier sicher befriedigen. Allerdings möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, dass dies keine Schilderung eines traurigen Einzelfalles ist. Ihr werdet wohl nicht sonderlich überrascht sein, dass ich nicht die einzige war, die so ihre Schwierigkeiten damit hatte, zu verstehen „wie Krankenhaus denn so läuft“. Meine Geschichte steht hier stellvertretend für viele Geschichten dieser Art. Die Dreistigkeit mit der systematisch gemobbt, gelogen, betrogen und verleumdet wurde wenn das Opfer im vermeidlichen Abhängigkeitsverhältnis steht, könnte durchaus für Erstaunen sorgen, aber lest einfach selbst!

Der 2. Akt:


„Von Kühen und Schweinen!“


Die Patientin in ihrem isolierten Zimmer, verwirrt, abgemagert, halb tot, Ihr erinnert Euch? Die Patientin, für die sich niemand interessiert hat, weil es einfach umständlich und lästig ist, sich an- und auszuziehen, bloß um nach einer todkranken Frau zu sehen. Die Patientin, bei der offensichtlich völlig scheiß egal war ob jemand, der lediglich 4 Woche Schule hatte, sie durch Unwissenheit verletzt oder womöglich umbringt. Genau die Patientin, ich nenne sie einfach mal Frau Seiler, kam plötzlich zu einer Aufmerksamkeit von ungeahntem Ausmaß. Die einzige Rettung für Menschen wie sie, die im Krankenhausalltag einfach nur stören und keiner sehen will, sind Angehörige, die das
a) überhaupt bemerken und 
b) deshalb ein riesen Theater machen. 
Oder engagiertes Pflegepersonal mit Durchsetzungskraft. Oder noch besser, Pflegepersonal als Angehörige, da liegt die Klage bereits drohend in der Luft und deshalb geben die Kollegen immer besonders Gas und sichern sich dreifach ab, eh da noch was schief geht. Aber das ist ein anderes Thema. 
Unsere Patientin jedenfalls hatte Besuch. Dieser hatte natürlich überhaupt keine Ahnung, was die Zustände angeht, in der ihre Mutter (und das muss ich leider genau so formulieren) dahin vegetierte. Aber das war völlig egal, denn es reicht schon, wenn Angehörige aus Prinzip gern alles bemängeln, wenn sie es einmal im Quartal zu ihrer todkranken Mutter ins Krankenhaus schaffen. Allerdings gab es diesmal sogar einen konkreten Anlass. Mama hatte behauptet von einer Schwester beschimpft und bedroht worden zu sein und zwar mit folgendem Wortlaut: 
Jetzt halt endlich die Fresse, sonst lasse ich Dich hier verrecken!“ 
Nun gut, die Patientin steht unter Medikamenten, ist zwischenzeitlich völlig desorientiert und schlägt nach dem Pflegepersonal weil sie meint, vergiftet zu werden. Man könnte den Wahrheitsgehalt dieser Aussage somit durchaus anzweifeln. Dennoch glaubte ich der Frau aufs Wort.
Aber jetzt mal der Reihe nach.
An besagten Tag komme ich zum Frühdienst. 15 Minuten zu früh, wie es von mir erwartet wird, und koche Kaffee. Nachtdienst hatte „der Bauer“. Der Bauer ist weiblich, geht auf die 50 zu und ist Dauernachtwache auf der Station und somit ausschließlich nachts und allein im Dienst. Bauer wird sie liebevoll von sämtlichen Kollegen in ihrer Abwesenheit genannt aufgrund ihrer „außergewöhnlichen“ Übergaben. Sie hat nämlich offensichtlich nie Patienten über Nacht betreut sondern Tiere. Sätze wie „Und dann hat das Schwein auch noch nach mir geschlagen.“ oder „Die arrogante Kuh meint wohl, ich hätte nichts anderes zu tun, als ihr das scheiß Wasser zu bringen.“ oder „Die Sau hat wieder an der Urinflasche vorbei gepisst.“ sind bei Schwester Bauer keine Seltenheit. Um es kurz zu fassen. Schwester Bauer hasst Patienten und gibt sich auch keinerlei Mühe ihre Verachtung zu verbergen.
Der Dienst beginnt also wie immer mit einer Übergabe, in der uns detailliert zwischen Kaffee 1 und Kaffee 3 berichtet wird, wie scheiße die Patienten doch zu ihr waren. Allen voran die verhasste Alte aus der 14 alias Frau Seiler. „Die klingelt andauernd, und wenn ich dann das Licht einfach ausmache, damit die endlich Ruhe gibt, fängt die auch noch an zu schreien. Ich zieh mich doch nicht 100 Mal die Nacht an und aus, bloß damit die Irre ihre Zähne nach mir schmeißt. Irgendwann reicht es auch mal. Sowas lasse ich mir nicht bieten!“

(Um meinen Berufsstand hier nicht völlig in den Dreck zu ziehen, möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich so ein Verhalten nie wieder im Klinikalltag erlebt habe. Sicherlich kommt nicht jeder Patient gut dabei weg, wenn im Dienstzimmer hinter geschlossenen Türen über ihn gesprochen wird und es gibt Kollegen, die mal mehr und mal weniger auf ihre Sprache achten. Aber jemandem wie Schwester Bauer bin ich seitdem nie wieder begegnet.)

Der Tag beginnt also wie immer, bis kurz vor Mittag. Menschenansammlung auf dem Flur. Stationsleitung, Kolleginnen, Ärzte, die Kinder der „Irren aus der 14“ diskutieren lauthals. Ich habe natürlich viel zu viel zu tun, um zu diesem Zeitpunkt bereits mitzubekommen, was da nun genau los ist. Kurze Zeit später stampft Mr Wichtig Himself alias Pflegedienstleitung dann über den Flur richtung Dienstzimmer.
Oh Gott, jetzt wird es ernst. Also entweder wird jemand für 25 Dienstjahre ausgezeichnet oder irgendwas ist gewaltig schief gelaufen.
Dem Gebrüll nach zu urteilen, dass ich selbst am andere Ende der Station noch hören kann, tippe ich auf letzteres. Naja, nicht mein Problem, denke ich, und erzählen worum es geht wird mir hier sowieso niemand. Also einfach weiter arbeiten, ist ja nicht mehr lang bis Feierabend.
Kurz vor Schluss dann, ihr ahnt es vielleicht, Auftritt Stefan.
Ich müsse länger bleiben, weil wir nach Dienstende noch reden müssten. 
Ignorieren wir jetzt einfach mal die Tatsache, dass ich nicht ausschließlich Schülerin sondern „neben bei“ auch noch Mutter bin, mein Kind womöglich pünktlich aus dem Kindergarten abgeholt werden müsste und es durchaus möglich gewesen wäre, dass jemand anderes den Kaffee austeilt, damit diese Gespräch innerhalb meiner Arbeitszeit hätte statt finden können und kommen wir direkt zu Stefans Vortrag:
Da steht er, im Dienstzimmer, es ist ihm offensichtlich unangenehm mit mir sprechen zu müssen, aber er tut es trotzdem. Nämlich mir den Vortrag halten, den die Sationsleitung ihm kurz zu vor diktiert hat:
Du kannst so nicht mit Patienten umgehen. Beleidigungen und Drohungen, das geht gar nicht. Wir haben den Angehörigen von Frau Seiler erklärt, dass Du eine Anfangsschülerin bist und wohl einfach überfordert warst. So etwas darf natürlich nicht wieder vorkommen und wir werden auch die Schule darüber informieren müssen. Vielleicht ist das ja doch nicht der richtige Beruf für dich...

Ich unterbreche Stefan mit den Worten „Es würde mir viel leichter fallen, Dir zu folgen, wenn du mir erst mal erklären würdest, für was genau ich denn jetzt den Kopf hin halten soll.“
Stefan erklärt sofort. Frau Seiler ist wüst beschimpft und bedroht worden. „Jetzt halt endlich die Fresse, sonst lasse ich dich hier verrecken!“ hat JEMAND gesagt. Die Angehören sind zurecht außer sich. Sie haben sich bei den Ärzten beschwert, die wiederum die Pflegedienstleitung informiert hätten usw.
Merkt Ihr was? 
Stefan erklärt mir gerade, was ICH gesagt haben soll. Weil er genau weiß, dass ich das ganz sicher niemals gesagt habe. Schlimmer noch: Jeder weiß, wer das tatsächlich gesagt haben wird. Schließlich hat der Bauer in der Übergabe ja jedermann teilhaben lassen an ihrer „Auseinandersetzung“ mit Frau Seiler. Und genau das antworte ich Stefan dann auch. „Jeder hier weiß, dass ich das nicht war. Genau wie jeder hier weiß, wer es war. Was Du hier machst ist völlig bekloppt.“ Bis zu diesem Zeitpunkt war ich erstaunlicherweise noch völlig ruhig. Aber dann kam etwas, womit ich wirklich nicht gerechnet hatte. Stefan machte einfach weiter.
Also mit dem Vortrag. Ich müsse das jetzt mit der Schule klären. Die Stationsleitung und alle anderen würden nun genauer hinsehen, wie ich mit Patienten umgehen und meine Benotung kann natürlich jetzt auch nicht mehr gut ausfallen. Bla bla bla...

Kennt ihr das, wenn man so dermaßen wütend wird, dass man anfängt zu heulen und dann noch wütender wird, weil man merkt, dass man zu heulen anfängt? So ging es mir in diesem Moment. Ich bekam lediglich noch ein „Was bist Du bloß für ein armseliges Arschloch raus!“ und bin gegangen. Hatte ja auch schon längst Feierabend.

Jetzt muss ich mich erst mal erholen. Selbst Jahre später steigt mein Blutdruck noch in ungeahnte Höhen, während ich diese Zeilen schreibe. Das Endergebnis kennt Ihr ja bereits. Trotz meiner Faulheit, Inkompetenz und den wüsten Beschimpfungen meinerseits gegen mir anvertraute Patienten, bin ich letztendlich dann doch Krankenschwester geworden. Warum ich geblieben bin und wer sich alles außerdem noch ganz viel Mühe gegeben hat, das bis zum Schluß zu verhindern, erfahrt Ihr dann im letzten Teil.

Eure @emergencymum

Mindsets: Meine Eltern werden pflegebedürftig, was nun? Die Sicht der Angehörigen

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